1) Was sind die Risikofaktoren für eine Chronifizierung der Migräne?

Zentrale Risikofaktoren sind reduzierte Lebensqualität und hoher Leidensdruck durch Migräne. Eine schlechte Wirkung der Akutmedikation, ein Übergebrauch von Schmerzmitteln und Triptanen sowie Komorbiditäten wie Depressionen, Angststörungen, Schlafstörungen und andere chronische Schmerzerkrankungen wie Fibromyalgie und Rückenschmerzen führen zur Progression und Chronifizierung. Übergewicht und hoher Koffeinkonsum sind zusätzliche Risikofaktoren.

2) Welche Prophylaxe ist bei Patienten mit chronischer Migräne mit Medikamentenübergebrauch wirksam?

Topiramat, Onabotulinumtoxin und die monoklonalen CGRP-Antikörper können bei chronischer Migräne mit Medikamentenübergebrauch (MÜK) die Kopfschmerztage pro Monat statistisch signifikant reduzieren. Allerdings wird dabei meist nicht eine Einnahmefrequenz von Akutmedikamenten an weniger als 10 Tagen pro Monat erreicht. Der MÜK bleibt daher bestehen. Die ursächliche Behandlung und langfristig nachhaltig effektive Therapie ist eine konsequente Medikamentenpause für Akutmedikation.

3) Welche psychiatrischen Komorbiditäten sind bei der Migränediagnosestellung abzuklären?

Das Risiko, zusätzlich eine behandlungsbedürftige depressive Störung zu entwickeln, ist bei Migränepatienten bis zu achtfach erhöht. Angststörungen treten fünfmal häufiger auf. Auch Substanzübergebrauch und Suizidalität sind signifikant häufiger als bei Nichtbetroffenen. Das komorbide Auftreten von Migräne und Depressionen verschlechtert das Behandlungsergebnis der jeweils anderen Erkrankung. 

4) Inwiefern beeinflusst eine Obstipation als Komorbidität die Therapieentscheidung und Patientenaufklärung?

Auch wenn in den Zulassungsstudien bei Erenumab nur ca. 3 % und bei Galcanezumab sogar nur ca. 1 % der Patienten über eine Obstipation berichteten, gilt diese Nebenwirkung als formal häufig. Ist eine hartnäckige Obstipationsneigung vorbekannt, spricht dies daher eher für den Einsatz von Fremanezumab.

5) Welche Patientencharakteristika sollten vor der Verschreibung von CGRP-monoklonalen Antikörpern abgeklärt werden?

Wichtig ist, für wen die Antikörper nicht geeignet sind, weil CGRP möglicherweise eine wichtige physiologische Funktion hat. Das sind vor allem Patienten mit KHK, zerebraler Ischämie, pAVK, unzureichend behandeltem Bluthochdruck, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und Schwangere.

6) Welche Instrumente spielen bei der Evaluation der Krankheitslast eine übergeordnete Rolle?

Die Kopfschmerzhäufigkeit und der Medikamentengebrauch können digital mit der Migräne-App (kostenlos in den Appstores) und auf Papier mit Kopfschmerzkalendern gut monitoriert werden. Der Einfluss auf die Lebensqualität und die krankheitsbedingte Beeinträchtigung in Beruf und Familie kann mit Fragebögen wie MIDAS oder HIT-6 erfasst. Prospektiv erfasst die Migräne-App digital die Lebensqualität mit dem GdBK-Score. 

7) Wie lässt sich das Patienten-Management zwischen Neurologen/Schmerztherapeut und Hausarzt optimieren?

Der Hausarzt kann die Mehrzahl der unkomplizierten Patienten im Verlauf betreuen. Bestehen Unklarheiten an der Diagnose oder erweist sich die Therapie als unzureichend, sollte an den Spezialisten weiterverwiesen werden. Ist ein Therapiekonzept etabliert und der Verlauf gut, kann die Weiterbehandlung wieder beim Hausarzt erfolgen.

8) Können Patienten mit episodischer Migräne in der schmerztherapeutischen Praxis eine Migräneprophylaxe erhalten?

Bis auf die CGRP-Antikörper, die ab 4 Migränetagen/Monat eingesetzt werden dürfen und das nur für die chronische Migräne ab 15 Kopfschmerztagen pro Monat zugelassene Onabotulinumtoxin, können alle Migräneprophylaktika dann begonnen werden, wenn der Leidensdruck des Patienten es unabhängig von der Migränehäufigkeit erfordert. 

9) Welche Rolle hat eine medikamentöse Prophylaxe bei der Vermeidung einer Chronifizierung der Migräne?

Jede wirksame vorbeugende Maßnahme, die begonnen wurde, solange noch eine episodische Migräne bestand, kann der Progression und der Chronifizierung sowie der Entwicklung eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch entgegenwirken. Das spricht für den frühen Einsatz der medikamentösen Prophylaxe. Auch psychischer Komorbidität und Komplikation der Migräne können vorgebeugt werden.

10) Wann sollten Patienten zusätzlich zur Akutbehandlung auf eine Migräneprophylaxe eingestellt werden?

Die wesentlichen Indikationen für eine medikamentöse Prophylaxe sind ein bedeutsamer Leidensdruck und Einschränkung der Lebensqualität der Betroffenen sowie ein drohender Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch. Signifikanter Leidensdruck ist besonders bei häufigen, langen und schwer zu behandelnden Attacken, komplexen Auren, Reduktion oder Ausfall der Arbeitsfähigkeit, der beruflichen und sozialen Funktionen gegeben.

Autoren:
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Hartmut Göbel
Priv.-Doz. Dr. med. Carl Göbel, MB BChir (Hons) MA (Cantab),
Dr. med. Axel Heinze,
Schmerzklinik Kiel
Migräne- und Kopfschmerzzentrum
Heikendorfer Weg 9–27
24149 Kiel
www.schmerzklinik.de