CGRP-Antagonisten: Die  Nachfolger der Triptane?

Dr. Axel Heinze, Dr. Katja Heinze-Kuhn und Prof. Dr. Hartmut Göbelneue-arzneimittel-gegen-migraene

Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel (https://schmerzklinik.de)

Die Einführung von Sumatriptan in der Migränetherapie veränderte ab 1991 nicht nur die Migränebehandlung entscheidend, sondern gab auch den Anstoß zu einer nie da gewesenen Ausweitung der Grundlagenforschung. Inzwischen stehen 7 verschiedene Triptane zur Verfügung, die Patienten mit schweren Migräneattacken noch helfen können, wenn alle Schmerzmittel versagen. Was aber genauso wichtig ist, unser Verständnis der Migräne hat sich in den letzten 20 Jahren immens vergrößert. Die Medizin setzt die Triptane nicht nur erfolgreich ein, sie kennt auch ihren Wirkmechanismus.

Und doch gibt es Patienten, die vom Fortschritt der Triptane nicht profitieren konnten. Grundsätzlich gibt es hierfür im Einzelfall 3 mögliche Gründe:

1.    Unwirksamkeit selbst der potentesten Triptane

2.    Unverträglichkeit selbst der mildesten Triptane

3.    Vorliegen von Gegenanzeigen für den Einsatz von Triptanen

a.    Begründeter Verdacht oder Vorliegen irgendeiner Durchblutungs­störung

b.    Nicht ausreichend einstellbarer Bluthochdruck.

c.    Auftreten ausgeprägter und lang anhaltender Migräneauren während der Kopfschmerzphase (z. B bei der hemiplegischen Migräne oder der Migräne vom Basilaristyp)

Grund für diese Einschränkungen ist die gefäßverengende Wirkung der Triptane, die besonders die Blutgefäße des Kopfes betrifft. Darüber hinaus wird aufgrund unzureichender Datenlage noch immer vom Einsatz der Triptane in der Schwangerschaft oder Stillzeit abgeraten.

Damit besteht weiterhin ein Bedarf für Therapiealternativen zu den Triptanen bei Patienten mit schweren Migräneattacken. Im Oktober 2007 wurden nun erstmals Daten zur Wirksamkeit einer Substanz mit dem Namen MK-0974 bei Migräne veröffentlicht. MK-0974 gehört zur Gruppe der CGRP-Antagonisten, einer Wirkstoffgruppe, die verspricht, die mögliche Alternative zu den Triptanen zu werden.

Um den Wirkmechanismus der CGRP-Antagonisten zu verstehen, muss man einen Blick auf die heutige Vorstellung über die Abläufe im Gehirn während einer Migräne werfen.

Bei der Entstehung der Migräne spielen Erbfaktoren eine entscheidende Rolle. Mehr als 70 % der Betroffenen kennen Familienangehörige ersten Grades (Eltern, Geschwister oder Kinder), die ebenfalls unter Migräne leiden. Kinder von Migränepatienten haben ein im Vergleich zu Gleichaltrigen um den Faktor 2 bis 4 erhöhtes Risiko, ebenfalls eine Migräne zu entwickeln. Für eine Unterform der Migräne, die familiäre hemiplegische Migräne, konnten inzwischen zugrunde liegende Gendefekte identifiziert werden. Diese sind verantwortlich für die bei Migränepatienten so charakteristische Überempfindlichkeit gegenüber vielfältigen inneren und äußeren Reizen, den sogenannten Triggerfaktoren. Hierzu zählen u.a. Störungen des Schlaf­-Wach-Rhythmus, hormonelle Schwankungen, Veränderung des Blutzuckerspiegels oder des aktuellen Stressniveaus, ungewohnte körperliche Belastungen oder Geruchs-, Lärm- oder Flackerlichtbelästigungen. Das bedeutet, dass zwar die genetische Veranlagung für die Migräne über die Generationen weitergegeben wird, ob eine Migräne im Einzelfall dann aber tatsächlich auftritt und wenn ja, wie stark und wie häufig, ist aber weitestgehend von Umweltfaktoren abhängig.

Verantwortlich für den eigentlichen Migränekopfschmerz ist eine sterile (also nicht durch Krankheitserreger bedingte) Entzündung im Bereich der Blutgefäße der Hirnhaut. Diese Entzündung wird durch das Nervensystem selbst hervorgerufen; man spricht daher von einer neurogenen Entzündung. Die Entzündung führt zu einer Überempfindlichkeit von Schmerzrezeptoren in der Hirnhaut. Das einfache Pulsieren der Blutgefäße der Hirnhaut wird zum hämmernden pochenden Migräneschmerz – jede körperliche Belastung, ja schon Bücken allein führt zur weiteren Schmerzverstärkung.

Entscheidend für die Entstehung der Entzündung ist nach heutiger Kenntnislage ein Eiweißstoff, der aus Nervenfasern des in der Migräneattacke aktivierten N. trigeminus freigesetzt wird: das CGRP (Calcitonin gene related peptide). Erhöhte CGRP- Spiegel wurden schon 1988 im venösen Blut von Patienten während einer Migräneattacke nachgewiesen. Nach Ende der Attacke oder nach erfolgreicher Behandlung mit einem Triptan normalisiert sich der CGRP-Spiegel wieder. Die Wirkung der Triptane bei Migräne dürfte auf die Hemmung der Freisetzung des CGRP zurückzuführen sein. Dieser erwünschte Effekt wird über einen bestimmten Serotoninrezeptor vermittelt, den 5-HT1D-Rezeptor.  Triptane aktivieren jedoch auch einen anderen Serotoninrezeptor, den 5-HT1B-Rezeptor, der den unerwünschten gefäßverengenden Effekt vermittelt.

Hier setzen nun die CGRP-Antagonisten an. Ohne wie Triptane Serotoninrezeptoren zu beeinflussen (und z.B. Blutgefäße zu verengen), blockieren sie direkt den CGRP-Rezeptor. Das in der Migräneattacke freigesetzte CGRP findet als Ergebnis keinen freien Rezeptor, an den es binden könnte und kann damit keinen Schaden anrichten. Die Entstehung bzw. Aufrechterhaltung der Entzündung wird unterbrochen und die Migränebeschwerden klingen ab.

In der von Ho und Mitarbeitern im Fachblatt Neurology veröffentlichten Untersuchung konnte gezeigt werden, dass der CGRP-Antagonist MK-0974 eine akute Migräneattacke genauso effektiv unterbrechen kann wie das bewährte Rizatriptan

[Maxalt®]. Im Vergleich hielt die Wirkung sogar deutlich länger an, so dass die Wiederkehrkopfschmerzrate erfreulicherweise geringer ausfiel. So waren je nach Dosierung zwischen 22 und 39 % der Patienten auch noch 24 Stunden nach Einnahme von MK-0974 komplett schmerzfrei – verglichen mit 18 % bei Maxalt und nur 11 % bei Placebo (Abbildung 1). Dieser Wirkparameter der „anhaltenden Schmerzfreiheit“ gilt als der härteste und aussagekräftigste Zielparameter überhaupt in der Migräneattackentherapie. Er vereinigt 2 Hauptforderungen an ein Migränemittel – erst soll es komplette Schmerzfreiheit erreichen und der Kopfschmerz soll dann auch nicht mehr wiederkommen.

Die Verträglichkeit von MK-0974 war dabei gut. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten gar nicht auf. Am häufigsten als Nebenwirkungen angegeben wurden Übelkeit, Schwindel und Müdigkeit, also Beschwerden, die auch Migränesymptome sein können. Entsprechend fand man diese Nebenwirkungen auch in der Placebogruppe.

Aktuell wird in internationalen Studien die Wirksamkeit und Verträglichkeit von MK-0974 auch im Langzeiteinsatz untersucht. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die jetzt geweckten hohen Erwartungen dann tatsächlich erfüllt werden können.

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Mehr zum Thema im Original

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