Declaration of Montréal of the International Association for the Study of Pain (IASP)
Declaration that Access to Pain Management Is a Fundamental Human Right
Pain. 2011 Dec;152(12):2673-4. doi:10.1016/j.pain.2011.09.012. Epub 2011 Oct 11. PubMed PMID: 21995880

Die Deklaration von Montreal ist ein Meilenstein, um der unzureichenden Schmerzbehandlung weltweit zu begegnen. Sie ist ein Schlüsseldokument für gemeinsame Initiativen von Wissenschaftlern, Ärzten, Gesundheitspolitik, Krankenversicherungen und anderen Institutionen, den Zugang zur Schmerztherapie als fundamentales Menschenrecht zu ermöglichen. Zugang zur Schmerztherapie ohne Diskriminierung ist ein Indikator für zeitgemäße Gesundheitssysteme und Gesellschaften, die sich um die Belange betroffener, leidender Menschen mit Schmerzen kümmern, verursacht durch Verletzungen oder Krankheiten, einschließlich des Leidens am Ende des Lebens. Die Deklaration wird hier erstmalig in Zusammenarbeit mit der IASP in deutscher Sprache zur Verfügung gestellt.

Deklaration von Montreal

Zugang zur Schmerztherapie ist ein menschliches Grundrecht

Wir, die Abgeordneten der Internationalen Schmerz-Gipfelkonferenz (International Pain Summit, IPS) der Internationalen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (International Association for the Study of Pain, IASP, zusammengesetzt aus IASP Vertretern aus Verbänden in 64 Ländern und Mitgliedern in 129 Ländern sowie Mitgliedern der Gesellschaften) haben uns eingehend mit den ungelinderten Schmerzen auf der Welt befasst.

Es ist festzustellen, dass die Schmerzbehandlung in den meisten Teilen der Welt nicht ausreichend ist, weil

  • es unzureichenden Zugang zur Behandlung von akuten Schmerzen gibt, verursacht durch Verletzungen oder Krankheiten, einschließlich des Leidens am Ende des Lebens. Es fehlt am Verständnis, dass chronische Schmerzen ein schwerwiegendes chronisches Gesundheitsproblem darstellen, welches Versorgungsstrukturen analog anderer chronischer Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes oder chronischer Herzerkrankungen benötigt;
  • sehr große Defizite bei Angehörigen der Gesundheitsberufe im Wissen über Schmerzmechanismen und Schmerzbehandlung bestehen;
  • chronischer Schmerz mit oder ohne Diagnose hochgradig stigmatisiert wird;
  • die meisten Länder entweder überhaupt keine nationale Politikstrategie oder nur ein unzureichendes Vorgehen für die Handhabung des Gesundheitsproblems Schmerz aufweisen, einschließlich eines unzureichenden Niveaus von Forschung, Aus-, Weiter- und Fortbildung;
  • Schmerzmedizin nicht als eigenes spezialisiertes Fach mit spezifischem, umfassendem Wissen und praktischem Aufgabenbereich anerkannt ist, welches auf wissenschaftlicher Forschung und fachübergreifender Ausbildung basiert;
  • die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass 5 Milliarden Menschen in Ländern leben, in denen es keinen oder nur unzureichenden Zugang zu Opioid-Schmerzmitteln gibt und die keinen oder nur unzureichenden Zugang zur Behandlung von mittelschweren bis schweren Schmerzen haben;
  • es gravierende Einschränkungen bei der Verfügbarkeit von Opioid-Schmerzmitteln und anderen unentbehrlichen Arzneimitteln für die Behandlung von Schmerzen gibt.

Und in der Erkenntnis der im Wesen des Menschen begründeten Würde sowie der tiefgreifenden Ungerechtigkeit einer vorenthalten Schmerzbehandlung, welche zu unnötigem Leid führt und gesundheitsschädlich ist, deklarieren wir, dass die folgenden Menschenrechte weltweit anerkannt werden müssen:

Artikel 1: Das Recht aller Menschen, ohne Diskriminierung Zugang zu Schmerzbehandlungen zu erhalten.1-4

Artikel 2: Das Recht von Menschen mit Schmerzen auf Anerkennung ihrer Schmerzen und auf Information über Diagnose- und Behandlungsmethoden.5

Artikel 3: Das Recht aller Menschen mit Schmerzen, Zugang zu Diagnose- und Behandlungsmethoden durch ausreichend aus-, weiter- und fortgebildetes Gesundheitspersonal zu erhalten.6-8

Um diese Rechte zu gewährleisten, erkennen wir die folgenden Verpflichtungen:

  1. Die Verpflichtung von Regierungen und aller Gesundheitseinrichtungen, innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten und unter angemessener Berücksichtigung der verfügbaren Gesundheitsressourcen, Gesetze, Richtlinien und Strukturen zu erschaffen, die helfen, Menschen mit Schmerzen Zugang zu ausreichender Schmerztherapie zu ermöglichen, nicht jedoch diesen zu erschweren. Das Unterlassen der Einführung solcher Gesetze, Richtlinien und Strukturen ist unethisch und stellt einen Bruch der Menschenrechte dar.
  1. Die Verpflichtung aller Angehörigen des Gesundheitssystems, welche sich in einem Behandlungsverhältnis mit einem Patienten befinden, innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten und unter angemessener Berücksichtigung der verfügbaren Behandlungsressourcen einem Patienten mit Schmerzen die Behandlung anzubieten, die von einem sorgfältig und kompetent arbeitenden Angehörigen der Gesundheitsberufe in diesem Versorgungsbereich angeboten werden würde. Das Versagen einer solchen Behandlung ist unethisch und stellt eine Verletzung der Menschenrechte dar.

Anmerkung: Diese Deklaration wurde unter angemessener Berücksichtigung der aktuellen Gesamtsituationen und der Formen der Gesundheitsversorgung der entwickelten Länder sowie der Entwicklungsländer erstellt. Dennoch liegt es in der Verantwortung von Regierungen, von Mitarbeitern der Gesundheitsbehörden aller Ebenen und von Angehörigen der Gesundheitsberufe die Umsetzung der Artikel dieser Deklaration anzupassen, wenn sich neue schmerztherapeutische Rahmenbedingungen ergeben.

Fußnoten:

  1. Diese schließt ein, ist jedoch nicht begrenzt auf, die Diskriminierung aufgrund von Alter, biologischem und sozialem Geschlecht, medizinischer Diagnose, Rasse oder Ethnizität, Religion, Kultur, Ehe-, Zivil- oder sozioökonomischem Status, sexueller Orientierung oder politischer bzw. sonstiger Meinung.
  1. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) (1966). Die ratifizierenden Staaten der ICESCR erkennen das „Recht auf höchstmögliche körperliche und geistige Gesundheit“ (Artikel 12) und in der Konsequenz „das Recht auf medizinische Versorgung für jedermann“ an.
  1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948): Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Artikel 25); Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Artikel 24); Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Artikel 12); Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Artikel 5(e) (iv)).
  1. UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Bemerkung Nr. 14., 22. Sitzung, April-Mai 2000 E/C 12/2000/4. „Kernverpflichtung“ aller ratifizierenden Staaten beinhaltet die Verpflichtung, Zugang zu Gesundheitsstrukturen, Gütern und Dienstleistungen ohne Diskriminierung zu ermöglichen, unentbehrliche Arzneimittel definiert durch die Weltgesundheitsorganisation verfügbar zu machen sowie eine nationale Gesundheitsstrategie zu entwickeln und umzusetzen.
  1. UN-Ausschuss für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte. Bemerkung Nr. 14., 22. Sitzung, April-Mai 2000 E/C 12/2000/4, Absatz 12. Bemerkung Nr. 14 stellt fest, dass Gesundheitszugang „das Recht Informationen in Bezug auf Gesundheitsthemen zu ersuchen, zu erhalten und zu übermitteln mit einschließt“.
  1. Angemessene Schmerzbeurteilung schließt die Dokumentation der Beurteilungsergebnisse mit ein (z.B. Schmerz als der „5. Vitalitätsparameter“ kann Aufmerksamkeit auf ungelinderte Schmerzen lenken und eine entsprechende Therapiemodifikation herbeiführen). Angemessene Behandlung schließt den Zugang zu Schmerzmedikation, einschließlich Opioide und sonstiger Analgetika sowie zu leitliniengerechten, interdisziplinären und integrativen multimodalen nicht-pharmakologischen Behandlungsmethoden ein, mit Zugang zu Experten, qualifiziert in der sicheren und effektiven Anwendung dieser Medikamente und Behandlungen, sowie unterstützt durch die Gesundheitspolitik, gesetzliche Rahmenbedingungen und Verfahren welche einen solchen Zugang ermöglichen und ungeeignete Maßnahmen vermeiden. Aufgrund des Mangels an angemessen ausgebildetem Gesundheitspersonal bedeutet das die Schaffung von Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in Bezug auf Schmerzdiagnostik und -therapie in allen Gesundheitsberufen sowie die Schaffung von Programmen für soziale Dienste für Schmerztherapie. Ebenfalls eingeschlossen ist die Verwirklichung von Programmen zur Aus-, Weiter- und Fortbildung von spezialisieren Ärzten in der Schmerzmedizin und Palliativmedizin. Weiterbildungskataloge sollen angemessene Weiterbildungs- und Behandlungsstandards gewährleisten.
  1. Die Versagung des Zugangs zu Schmerztherapie verletzt das UN-Einheits-abkommen über Betäubungsmittel (1961), welche den medizinischen Nutzen von Betäubungsmitteln in der Linderung von Schmerzen als unerlässlich deklariert und eine adäquate Versorgung mit Betäubungsmitteln zu medizinischen Zwecken verfügt.
  1. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) (Artikel 5) besagt: „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ Kommentar: Das absichtliche Ignorieren des Bedarfs einer Schmerztherapie oder das Versagen, bei unzureichender Schmerzlinderung spezialisierte Hilfe hinzuzuziehen, kann eine Verletzung von Artikel 5 bedeuten.
  1. Der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit und der UN-Sonderberichterstatter über Folter stellte fest: „Das Versagen des Zugangs zu kontrollierten Arzneimitteln zur Linderung von Schmerzen und Leiden bedroht menschliche Grundrechte zur Gesundheit und zur Beschützung vor grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung.“

 

Quellen:

  1. ANZCA. Statement on patients’ rights to pain management. ANZCA PS 45; 2001. Verfügbar unter: www.anzca.edu.au
  2. Brennan F, Carr DB, Cousins MJ. Pain management: a fundamental human right. Anesth Analg 2007;105:205–21.
  3. Cousins MJ, Brennan F, Carr DB. Pain relief: a universal human right. Pain 2004:112:1–4.
  4. FEDELAT. Proclamation of pain treatment and the application of palliative care as human rights, May 22, 2008.
  5. IAHPC. Joint declaration and statement of commitment on palliative care and pain treatment as human rights. Verfügbar unter: www.hospicecare.com
  6. Scholten W, Nygren-Krug H, Zucker HA. The World Health Organization paves the way for action to free people from the shackles of pain. Anesth Analg 2007; 105:1–4.
  7. Somerville M. Death of pain: pain, suffering, and ethics. In Gebhart GF, Hammond DL, Jensen TS, editors. Proceedings of the 7th World Congress on Pain. Progress in Pain Research and Management, Vol. 2. Seattle: IASP Press; 1994. p. 41–58.

Genehmigt durch die Ratsversammlung der
Internationalen Gesellschaft zum Studium
des Schmerzes (IASP Council)
am 28. Oktober 2010

Übersetzung: Prof. Hartmut Göbel, Schmerzklinik Kiel

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