Aus dem SPIEGEL Nr. 28 10.7.2021: Interview mit Prof. Dr. Hartmut Göbel zum Thema Omega-3 Fettsäuren und Migräne
„SPIEGEL: Wie wichtig ist die richtige Ernährung bei Migräne?
Göbel: Auf jeden Fall ist das für viele Patientinnen und Patienten ein großes Thema. Es gibt sogar Kochbücher mit Rezepten gegen Migräne. Aber leider stehen viele der Empfehlungen auf dünnem Eis. Es gibt nur wenig wissenschaftliche Evidenz dazu.
SPIEGEL: Im »British Medical Journal« ist jetzt eine Studie erschienen, nach der eine Ernährung mit einem hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren – wie sie zum Beispiel in Lachs, Makrelen, Leinöl, Leinsamen und Walnüssen enthalten sind – die Zahl der Migräneanfälle im Mittel um vier Tage pro Monat reduzieren kann. Was ist davon zu halten?
Göbel: Wir müssen abwarten, ob sich diees Ergebnis tatsächlich bestätigt. Selbst die neuesten Migränemedikamente schaffen nur etwa 3,5 Kopfschmerztage weniger pro Monat. Wie fast alle Ernährungsstudien hat diese Arbeit klare Einschränkungen. Sie war zum Beispiel nicht »verblindet« – dass Teilnehmer und Forscher wussten, wer jeweils welche Ernährung bekam, könnte das Ergebnis beeinflusst haben. Auch war die Zahl der Teilnehmer nicht besonders groß. Und die Beeinträchtigung der Probanden durch ihre Kopfschmerzen hat sich nicht verringert. Dennoch deutet die Studie eindeutig darauf hin, dass etwas dran zu sein scheint an der positiven Wirkung von Omega-3-Fettsäuren – zugeführt über normale Lebensmittel wohlgemerkt, nicht als Nahrungsergänzungsmittel, die man in der Drogerie oder Apotheke kauft.
SPIEGEL: Wie ist der positive Effekt zu erklären?
Göbel: Omega-3-Fettsäuren haben eine entzündungshemmende Wirkung, aus ihnen werden im Körper Botenstoffe hergestellt, die Schmerz unterdrücken. Das könnte sich auch auf die Migräne auswirken.
SPIEGEL: Werden Sie in Ihrer Klinik jetzt mehr Kost mit viel Omega-3-Fettsäuren anbieten?
Göbel: Das machen wir schon lange, einfach weil es gesund ist. Das ist für mich das Gute an diesem Studienergebnis: Wenn man mehr ungesättigte Fettsäuren, wie z.B. in Lachs, Leinsamen und Nüsse isst, kann man damit – anders als mit manchen anderen Diätempfehlungen – nichts falsch machen, das fördert in jedem Fall die Gesundheit.
SPIEGEL: Gibt es noch mehr Ernährungstipps für Migränekranke?
Göbel: Oh ja. Früher ging es vor allem darum, was man alles nicht essen sollte – Schokolade, Käse und Zitrusfrüchte zum Beispiel. Diese Lebensmittel könnten Kopfschmerzattacken auslösen, hieß es. Manche Patienten haben richtige Ängste entwickelt. Inzwischen wissen wir: Das alles ist wissenschaftlich nicht haltbar.
SPIEGEL: Stimmt es etwa nicht, dass viele Migränepatienten am Tag vor einer Kopfschmerzattacke Heißhunger auf Schokolade haben?
Göbel: Ja, aber das ist nicht die Ursache für den Migräneanfall. Es ist ein Zeichen dafür, dass die Zündschnur hin zu den Kopfschmerzen bereits glimmt, ein verzweifelter Versuch des Körpers, die Reißleine zu ziehen und den Anfall doch noch abzuwenden.
SPIEGEL: Wie soll das funktionieren?
Göbel: Die Migräne entsteht wesentlich durch angeborene Risikogene. Diese führen dazu, dass das Gehirn von Migränepatienten oft sehr schnell arbeitet und ständig aktiv ist. Dafür benötigt das Gehirn Energie, diese bekommen die Nervenzellen aus Kohlenhydraten. Wir gehen inzwischen davon aus, dass ein Migräneanfall auch durch einen Energiemangel des Gehirns entsteht. Es ist also sehr wichtig für Migränepatienten, regelmäßig zu essen und komplexe Kohlenhydrate zu sich zu nehmen. Es mag überraschend klingen, aber ich empfehle schon zum Frühstück komplexe Kohlenhydrate wie z.B. in Kartoffeln, Reis und Vollkornprodukte. Nüsse und Leinsamen sind dazu eine gute Ergänzung.“
Literatur:
- Dietary omega 3 fatty acids for migraine
- Dietary alteration of n-3 and n-6 fatty acids for headache reduction in adults with migraine: randomized controlled trial
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