Neue Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Migräne ein Energie-Defizitsyndrom des Gehirns mit Fehlsteuerung des Energieumsatzes in den Mitochondrien der Nervenzellen ist. Dieses führt zu einer Kaskade von neurologischen Symptomen. Mittels Magnetresonanzspektroskopie (MRS) konnten zahlreiche Substanzen analysiert werden, welche im Energiestoffwechsel beteiligt sind. Diese schließen Laktat, Magnesium und Adenosintriphosphat ein. Studien haben Veränderungen im Hypothalamus, Thalamus und im Hirnstamm identifiziert. Diese legen eine endokrine Entstehung der Migräne nahe. In der Zusammenschau lassen diese Untersuchungen annehmen, dass der Migräneanfall selbst eine Antwort auf ein Energiedefizitsyndrom des Gehirns ist.

Oxidative Stresslevel übersteigen dabei die antioxidativen Fähigkeiten der Nervenzellen. Die Migräneattacke unterstützt dabei möglicherweise die Wiederherstellung des ausgeglichenen Energiehaushaltes des Gehirns. Sie reduziert schädigenden oxidativen Stress. Nervenzellen halten ihre Fähigkeit reduzierende oder oxidierende Stoffe zu neutralisieren, stabil, indem sie oxidierende bzw. reduzierende Stoffe herstellen und bevorraten. Wird die normale Reparatur- und Entgiftungsfunktion einer Zelle überfordert, nennt man dies oxidativer Stress. Folge ist eine Fehlsteuerung oder Schädigung der Zellfunktion.

Eine Fehlsteuerung der mitochondrialen Enzymfunktion und der Glukose-Verstoffwechslung sowie oxidativer Stress können spezifische Antworten auf externe Auslöser sein. Dies führt zum Migräneanfall bei Patienten, welche eine zerebrale Überreaktion auf externe Reize aufweisen und eine Fehlsteuerung der zentralen Reizverarbeitung zur Konsequenz haben.

Trigger oder Auslöser wirken demnach nicht an sich. Ihre Wirkung ist vielmehr eine Folge von Störungen im Energiestoffwechsel des Gehirns. Entscheidend ist bei der Entstehung der Migräneattacke nicht der Anfall an sich. Dieser entsteht vielmehr in der Folge von mannigfaltigen Ereignissen häufig schon Wochen bevor der eigentliche Anfall auftritt. Diese Ereignisse kulminieren dann in einer Migräneattacke. Der direkte Zeitraum vor dem eigentlichen Anfall ist daher nicht von entscheidender Bedeutung. Der Ratschlag, Trigger zu vermeiden funktioniert daher in der Regel nicht. Sie wirken zu bestimmten Zeiten, zu anderen Zeiten nicht. Trigger kulminieren in einer Migräneattacke, wenn eine gewisse Schwelle überschritten ist, die in der Biologie der Betroffenen bedingt ist, nicht jedoch in der physikalischen Eigenschaft des Triggers. Gemeinsamer Faktor der Auslöser ist damit deren Fähigkeit in der Summe oxidativen Stress zu bedingen. Oxidativer Stress wird aufgrund eines Defizits der nervalen Energievorräte bedingt. Die Folge ist, dass die Nervenzellen ihre Energie nicht mehr für die Abwehr von oxidativem Stress nutzen können, die antioxidative Verteidigung nicht mehr ausreichend möglich ist. Diese Veränderungen werden dann durch die Migräneattacke auf die Normalsituation zurückgesetzt.

Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich eine völlig neue Herangehensweise für die Behandlung der Migräne. Insbesondere kann damit weit vor dem eigentlichen Ausbruch der Migräneattacke durch Wissen und angepasste Verhaltensweisen therapeutisch eingegriffen werden. Dabei wird das frühere Denken, dass die Migräneattacke die eigentliche Erkrankung ist, welche unterdrückt werden muss, in Frage gestellt. Vielmehr ist der Migräneanfall ein Versuch des Gehirns, den Energiehaushalt wieder zu stabilisieren und die physiologische Funktionsweise wiederherzustellen.

Daraus ergeben sich neue wesentliche vorbeugende Behandlungsstrategien. Behandlungen, die den Hirnstoffwechsel normalisieren, spielen dabei eine zentrale Rolle. Maßnahmen, die eine Stabilisierung des Energiestoffwechsels als Ziel haben, sollten daher primär als Therapie im Mittelpunkt stehen. Dies gilt für Erwachsene, aber noch viel mehr für jugendliche Patienten und Kinder.

Im Fokus steht dabei auch Ernährung. Sie stellt die Energie, die Fähigkeit zu arbeiten, den Nervenzellen zur Verfügung. Ernährung ist der Schlüssel für eine ausreichende Energieversorgung des zentralen Nervensystems. Regelmäßigkeit und kohlenhydratreiche Ernährung sind dabei zentrale Regeln für eine stabile Energieversorgung der Nervenzellen. Aber auch für die Behandlung der akuten Attacke kann eine Stabilisierung des Energiehaushaltes bedeutsam sein. Koffein aktiviert den Energieumsatz aus Kohlenhydraten in nervale Energie. Auch Kortikosteroide können über einen metabolischen Effekt in den Energiehaushalt der Nervenzellen therapeutisch eingreifen. Alle anderen Behandlungsverfahren zur Attackentherapie wirken über eine Reduktion der Schmerzgenerierung im trigemino-vaskulären System, welche vorher durch metabolische Veränderungen mit Energiedefizit aktiviert wurden.

In der Zusammenschau ist die Migräneattacke eine Schutzreaktion des Gehirns zur Schadensabwehr und nicht das eigentliche Problem. Durch die Migräneattacke versucht der Körper den Energiehaushalt nach einer massiven Störung des metabolischen Systems mit Energiedefizit zu stabilisieren.

Wie man durch Ernährung und Verhalten den Energiehaushalt aktiv im Gleichgewicht halten kann, diskutiert Professor Dr. Hartmut Göbel mit dem bekannten NDR Ernährungsdoc Dr. Matthias Riedl, Ärztlicher Direktor vom medicum Hamburg, über ein möglichst schmerzfreies Leben mit Migräne.

Das Expertengespräch ist in der Zeitschrift „Iss Dich gesund“ wiedergegeben. Lesen Sie Einzelheiten dazu im anliegendem PDF.

Iss Dich gesund: Ernährung bei Migräne

Literatur

1. Gross EC, Lisicki M, Fischer D, Sándor PS, Schoenen J. The metabolic face of migraine – from pathophysiology to treatment [published online October 4, 2019]. Nat Rev Neurol. doi:10.1038/s41582-019-0255-4

2. Kokavec A. Migraine: A disorder of metabolism? Med Hypotheses. 2016;97:117-130.

3. Akerman S, Romero-Reyes M, Holland PR. Current and novel insights into the neurophysiology of migraine and its implications for therapeutics. Pharmacol Ther. 2017;172:151-170.

4.  Borkum JM. Migraine triggers and oxidative stress: a narrative review and synthesis. Headache. 2016;56(1):12-35.