Interview von Matthias Jansen

Fast 15 Prozent der Deutschen leiden an Migräne. Professor Hartmut Göbel sagt, worauf Patienten achten sollen und was ihnen helfen kann. Die Forschung macht Hoffnung. Migräne gehört zu den Krankheiten, die die Menschen in Deutschland mit am häufigsten betrifft. Einer, der sich damit besonders gut auskennt, ist Professor Hartmut Göbel. Er ist Gründer, ärztlicher Direktor und Geschäftsführer der Schmerzklinik in Kiel. Außerdem hat der Träger des Bundesverdienstkreuzes einen Studiengang zur Migräne an der Universität Kiel ins Leben gerufen. Im Gespräch mit Redakteur Matthias Jansen spricht Göbel über die Krankheit, wen es trifft, was man dagegen machen kann und womit sich die Forschung gerade beschäftigt.

Stimmen die Zahlen, dass bis zu 15 Prozent der Deutschen an Migräne leiden?

Innerhalb eines Jahres stimmt die Zahl. Die Häufigkeit muss man immer auf eine Zeitspanne beziehen. Wenn man das gesamte Leben betrachtet, leiden rund 40 Prozent der Bevölkerung an Migräne–Attacken. Migräne zählt nach Karies und nach dem Kopfschmerz vom Spannungstyp zur dritthäufigsten Erkrankung des Menschen. Sie ist auch gleichzeitig Grund für die stärkste Behinderung bei Menschen unterhalb von 50 Lebensjahren.

Nehmen Kopfschmerzen zu in unserer schnelllebigen Welt?

Tatsächlich zeigen Studien, dass Kopfschmerzen in den letzten Jahrzehnten deutlich häufiger geworden sind. Dies gilt insbesondere für Kinder und Jugendliche. Kopfschmerzen waren auch bei Erwachsenen schon immer ein sehr großes Problem. Es handelt sich bei den primären Kopfschmerzen, Migräne und Spannungskopfschmerz, um die häufigsten neurologischen Erkrankungen überhaupt. Während früher viele Patienten aufgegeben haben und auf alternativmedizinische Behandlungen gehofft hatten, werden viele dieser Betroffenen heute spezifisch diagnostiziert und es kann ihnen im medizinischen Bereich eine erfolgreiche Therapie eröffnet werden. Stress, Unregelmäßigkeit im Alltag und familiäre Belastungen können jedoch auch Kopfschmerzen verstärken. Insofern sind auch aktuelle psychosozialen Faktoren ein Aspekt für die größere Häufigkeit und stärkere Ausprägung von Kopfschmerzen unserer Zeit.

Stimmt es, dass immer mehr Kinder betroffen sind? Wie kommt das und wie kann ihnen geholfen werden?

Studien der letzten Jahrzehnte zeigen, dass die Kopfschmerzen bei Kindern deutlich zugenommen haben. Langzeitstudien zeigen, dass gerade bei jungen Kindern eine Zunahme von mehr als 300 Prozent der Kopfschmerzhäufigkeit besteht. Kinder leben heute in einer unsteten Welt, häufige Umzüge der Familien spielen eine Rolle. Ebenso die berufliche Belastung der Eltern kann sich negativ auf das Kopfschmerzgeschehen bei Kindern auswirken. Der Konsum von Medien, insbesondere digitale Anwendungen, kann ebenfalls das kindliche Nervensystem stark beanspruchen und Kopfschmerzen häufiger werden lassen. Gerade bei Kindern sind ein Gleichtakt und ein regelmäßiger Tagesablauf besonders wichtig. Zeiten für Entspannung und Ausgleich sollten ermöglicht werden. Eine regelmäßige kohlenhydratreiche Ernährung ist eine wichtige Voraussetzung für ausreichende Energiezufuhr im Nervensystem. Ein regelmäßiger Schlafrhythmus sollte ebenfalls beachtet werden. Gerade bei Kindern sind eine präzise Diagnose und ein effektives Therapiekonzept wichtig, damit die Kopfschmerzen schon in jungen Jahren nicht chronifizieren und häufiger werden.

Ab wann sind Kopfschmerzen chronisch?

Treten Kopfschmerzen an mehr als 15 Tagen im Monat über mehr als drei Monate auf, spricht man von einem chronischen Kopfschmerz. Es ist daher besonders wichtig, dass die Häufigkeit von Kopfschmerzen durch die Behandlung reduziert wird. Je häufiger Kopfschmerzen auftreten und je mehr Kopfschmerztage im Monat präsent sind, umso schwieriger ist die Behandlung und umso größer ist der Aufwand, um eine effektive Therapie zu realisieren.

Wen trifft die Krankheit vor allem und warum erkrankt man an Migräne?

Es betrifft insbesondere Frauen, weil sie ein aktiveres, schnelleres Nervensystem haben. Sie können Reize und Emotionen intensiver aufnehmen und verarbeiten. Dies ist der Hintergrund, warum das weibliche Nervensystem einen stärkeren Energieumsatz benötigt und damit auch Energiedefizite stärker zum Ausdruck kommen. Hinzu kommen stärkere Veränderungen des Stoffwechsels und der Energieversorgung im Rahmen des Menstruationszyklus. Migräne ist somit keine Alterserkrankung. Migräne benötigt ein aktives reaktives Gehirn. Migränepatienten sind in der Lage, sehr schnell und sehr aktiv gedanklich zu agieren. Diese hohe nervale Aktivität erfordert einen hohen Energieumsatz in den Nervenzellen. Kommt es jedoch zu einem Energiedefizit führt dies dazu, dass die Nervenzellen zeitweise nicht ausreichend arbeiten können. Die Nervenfunktion wird gestört oder bricht zusammen. Es entstehen dann die typischen Folgen einer Migräneattacke.

Wie sehen die Folgen aus?

Bei einem Teil der Patienten treten neurologische Ausfälle wie beispielsweise Zickzacklinien mit Flimmersehen vor dem Auge, Sprachstörungen, Schwindel, Kribbelmissempfindungen oder gar Lähmungen einleitend auft. Anschließend kommen die Kopfschmerzen. Der Schmerz hat eine Dauer zwischen vier und 72 Stunden. Die Schmerzen können einseitig auftreten. Der Schmerzcharakter ist pulsierend und pochend. Körperliche Tätigkeit kann die Schmerzen verstärken, so dass die Patienten Bettruhe einhalten müssen. Übelkeit, Erbrechen sowie Lärm– und Lichtüberempfindlichkeit können die Schmerzen begleiten.

Warum ist Migräne als Erkrankung dann aber nicht wirklich präsent?

Migränepatienten leiden meist für sich alleine. Man lebt hinter vorgezogenen Gardinen, hat drei Tage Hausarrest, isst und trinkt nicht mehr, die Umwelt nimmt einen nicht wahr, man fällt aus. Migräne ist die vergessene Epidemie. Obwohl so viele Menschen ein Leben lang daran schwer erkrankt sind, ist das Bewusstsein für die Bedeutung der Migräne insgesamt noch gering. Erfreulicherweise ist in den letzten Jahren eine deutliche Besserung eingetreten. Die Notwendigkeit, dass die Gesellschaft sich für diese Gruppe einsetzt, wird erst in den letzten Jahren zunehmend erkannt.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie versuchen, die Diagnose Migräne zu stellen?

Die Kopfschmerzdiagnostik besteht aus mehreren Schritten. Zunächst muss das exakte Bild des Ablaufes der Kopfschmerzen erfasst und analysiert werden. Da es mittlerweile über 367 Hauptformen von Kopfschmerzen gibt, ist dies ein sehr komplexer und zeitaufwendiger Vorgang. Die betroffenen Patienten müssen dabei sehr genau beschreiben, wie die Kopfschmerzen ablaufen. Kopfschmerzfragebögen, Kopfschmerzkalender und die Migräne–App können sehr wertvolle Hilfe leisten. Menschen können gleichzeitig oder zu unterschiedlichen Zeiten auch mehrere Kopfschmerzformen erleiden. Daher müssen all diese unterschiedlichen Typen abgegrenzt und unterschieden werden.

Was erfolgt dann?

Im nächsten Schritt muss eine sehr sorgfältige neurologische und allgemeine ärztliche Untersuchung durchgeführt werden. In der Zusammenschau zeigen sich bei den meisten Patienten die Symptome einer sogenannten primären Kopfschmerzform. Das bedeutet, dass die Kopfschmerzen die eigentliche Erkrankung sind und nicht Symptom von irgendetwas anderem.

Und wenn nicht?

Ergeben sich jedoch Zweifel müssen diese erhärtet oder ausgeschlossen werden sowie weitere gezielte diagnostische Maßnahmen erfolgen. Die Bedingungen für das Kopfschmerzgeschehen muss therapeutisch adressiert werden. Beispielsweise kann ein Kopfschmerz bei hohem Blutdruck nicht sinnvollerweise mit einem Schmerzmittel behandelt werden. Es muss der hohe Blutdruck therapiert werden. In der Folge klingen dann die Kopfschmerzen ab.

Stimmt es, dass die Migräne in der Pubertät beginnt?

Die Migräne beginnt häufig mit der Einschulung. Es ist der Zeitraum, wenn das Gehirn reif genug ist, schnell zu lernen und zu agieren. Typischerweise startet die Migräne in einer größeren Häufigkeit bei den Jungen. Die Mädchen überholen dann jedoch schnell und ab der Pubertät überwiegt dann die Häufigkeit Jungen zu Mädchen 1:3.

Betroffene sagen, bei Migräne helfe nur noch das Einnehmen von Medikamenten. Was ist dabei zu beachten?

Bei 367 Hauptformen von Kopfschmerzen wird verständlich, dass es sehr unterschiedliche Möglichkeiten gibt, Kopfschmerzen zu behandeln. Jede Kopfschmerzbehandlung sollte mit Information und Aufklärung über die Diagnose und das Krankheitskonzept beginnen. Es schließen sich dann Verhaltensmaßnahmen an, um Kopfschmerzen durch die Lebensführung, Ernährung, Entspannung, Sport oder Regelung des Tagesablaufes zu therapieren. Als nächster Schritt ist bei in Anfällen auftretenden Kopfschmerzen die Attackentherapie zu klären. Auch Schmerzmittel haben einen wichtigen Stellenwert in der Behandlung von Kopfschmerzanfällen. Ganz besonders bedeutsam ist eine spezifische Vorbeugung von Kopfschmerzen. Dies hängt damit zusammen, dass die alleinige Gabe von Triptanen oder Schmerzmitteln nicht ausreichend ist, um Kopfschmerzerkrankungen wirkungsvoll zu behandeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Kopfschmerzen sehr häufig auftreten. Nimmt man an zehn oder mehr Tagen im Monat Akutmittel gegen Migräne ein, kann ein sogenannter Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch bewirkt werden. Dies bedeutet, dass die Kopfschmerzen häufiger werden, sie schlechter auf Akutmedikamente ansprechen und schließlich ein Dauerkopfschmerz sich entwickeln kann. Daher ist es von großer Bedeutung, dass eine wirksame Vorbeugung der Kopfschmerzen gefunden wird. Ziel ist, die Kopfschmerzfrequenz zu reduzieren und möglichst die Kopfschmerzhäufigkeit so gering wie möglich werden zu lassen.

Sie sprachen die Verhaltensmaßnahmen an. Was können Migräne–Patienten tun, damit es Ihnen auch ohne Medikamente gut geht?

In der modernen Schmerztherapie wird nicht nach entweder oder differenziert. Vielmehr soll alles das für den Patienten zur Verfügung gestellt werden, was sich in wissenschaftlichen Studien als wirksam erwiesen hat. Ernährung, Sporttherapie, Entspannung, Wissen, Information und andere nichtmedikamentöse Verfahren sind essenzielle Bestandteile einer modernen und wirksamen Schmerztherapie. Das Nervensystem benötigt zur gesunden Tätigkeit komplexe Kohlenhydrate. Aufgrund der genetischen Faktoren sind die Nervenzellen von Migränebetroffenen besonders aktiv. Im Migräneanfall kommt es zu einem erhöhten Verbrauch von Energie. In der Folge tritt dann ein Energiedefizit auf. Die Nervenzellen können nicht mehr ausreichend arbeiten und es kommt zur Migräneattacke.

Wie können die Patienten durch Ihre Ernährung beitragen?

Es ist wichtig, dass Betroffene ausreichend komplexe Kohlenhydrate aufnehmen, wie beispielsweise Kartoffel, Reis oder Vollkornprodukte. Es sollte ein regelmäßiger Essrhythmus aufrechterhalten werden. Die Nahrungsintervalle sollten konstant eingehalten werden. Omega–3-Fettsäuren haben sich in wissenschaftlichen Studien ebenfalls als vorbeugend wirksam erwiesen. Sie reduzieren entzündliche Vorgänge im Nervensystem. Daher sollte bei der Ernährung darauf geachtet werden, dass ausreichend Omega–3-Fettsäuren aufgenommen werden. Zur Vorbeugung über Verhalten haben sich insbesondere Entspannungsverfahren, Biofeedback und Sporttherapie bewährt. Bei schwerbetroffenen Patienten können auch verhaltenstherapeutische Maßnahmen eine gute Wirksamkeit erzielen.

Ist Migräne ein Hinderungsgrund, um beruflich Karriere zu machen?

Tatsächlich sind Menschen mit Migräne besonders leistungsstark. Sie haben ein sehr aktives, kreatives Gehirn. Die genetische Ausstattung führt dazu, dass sie innovative Gedanken umsetzen, Probleme schnell wahrnehmen und Lösungen finden können. Hinzu kommt, dass Migränepatienten häufig nach einer aktiven Phase ihre Attacken erleiden, das ist typischerweise Samstag und Sonntag. Am Montag sind sie wieder dabei und können wieder für die Gesellschaft ihre Befähigungen einbringen. Kluge Arbeitgeber stellen daher am besten Migränepatienten ein. In vielen Bereichen gibt es bekannte Migränepatienten, die hervorragendes leisten. Aus dieser Sicht ist die Auffassung, dass man mit Migräne wenig leistungsfähig ist, völlig inadäquat und entspricht nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Stand.

Welche Patienten kommen zu Ihnen in die Klinik?

In die Schmerzklinik Kiel werden bundesweit schwerbetroffene Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen eingewiesen. Besonderes Merkmal ist, dass diese trotz zahlreicher Therapieversuche sich nicht effektiv behandeln ließen. Schmerzen führen zu einem hohen Leidensdruck, die Lebensqualität ist stark beeinträchtigt Viele Patienten können nicht mehr arbeiten oder es droht die Frühverrentung. Aufgrund dauerhafter Schmerzen oder bedingt durch eine hohe Attackenfrequenz müssen sehr häufig Medikamente eingenommen werden. Es kann zu einem Übergebrauch von Medikamenten kommen mit der Folge, dass die Schmerzen paradoxerweise noch häufiger werden. Die Schmerzmedikamente wirken weniger effektiv. Parallel dazu nehmen die Schmerzen in ihrer Häufigkeit zu, deren Intensität steigt. Die starke Beeinträchtigung durch die Schmerzen führt zu Ängsten, Verlust der Zuversicht, Hoffnungslosigkeit, depressiven Gedanken, sozialem Rückzug, Schlafstörungen und komplexen psychosozialen Auswirkungen. Zusätzlich leiden viele Patienten auch an komplizierten körperlichen Begleiterkrankungen. Diese erschweren die Schmerztherapie. So können beispielsweise Erkrankungen des Magens, des Darms und der Leber der Einnahme von bestimmten Medikamenten im Wege stehen. Insgesamt handelt es sich nicht um ein isoliertes Symptom „Schmerz“, sondern um komplexe Erkrankungen mit vielfältigen Auswirkungen.

An welchem Punkt sollte ich mir mit Kopfschmerzen Hilfe holen?

Kopfschmerzen können sehr komplexe Erkrankungen sein und sollten ärztlich diagnostisch eingeordnet werden. Treten weitere Kopfschmerzformen auf, die man bisher nicht kennt, werden Kopfschmerzen häufiger, führen sie zu starkem Leidensdruck und behindern das berufliche, soziale und familiäre Leben, sollte eine ärztliche Behandlung angestrebt werden. Das gleiche gilt für Kopfschmerzen, bei denen unklare körperliche Symptome als Begleitproblematik auftreten. Beispiele sind Fieber, Schüttelfrost, Nackensteifigkeit, Gelenkschmerzen, Muskelschmerzen, zunehmende neurologische und psychologische Symptome.

Was hat sich in den letzten Jahren in der Behandlung der unterschiedlichen Kopfschmerzarten getan? Woran wird geforscht?

In den letzten Jahren konnte durch die Einführung von Antikörpern gegen CGRP, das Calcitonin–Gene–Related–Peptid, eine entscheidende Verbesserung der Migränevorbeugung erzielt werden. CGRP ist ein wichtiger Botenstoff, der bei der Migräne eine zentrale Rolle einnimmt. Es führt dazu, dass die Adern der Hirnhäute sich erweitern und entzündlich verändern. Folge sind die pulsierenden, pochenden und hämmernden Kopfschmerzen. Es ist mittlerweile durch jahrzehntelange Forschung gelungen, spezifische Stoffe zu entwickeln, die die Wirkung von CGRP bei der Migräne hemmen. Vier sogenannte monoklonale Antikörper sind für die Behandlung zugelassen. Sie zeigen in der praktischen Anwendung eine hohe Wirksamkeit. Zudem sind sie in aller Regel gut verträglich. Sie wirken auch bei Patienten, die auf die bisherigen Medikamente, die für die Migränevorbeugung zugelassen sind, nicht ansprechen. Weitere Substanzen wie Ditane oder Gepante sind für die Attackentherapie in der Entwicklung, sie sind bereits zugelassen oder stehen kurz vor der Verfügbarkeit.

Was genau hat es mit der Immuntherapie zur Vorbeugung der Migräne auf sich?

Bei einer Migräneattacke ist der Botenstoff CGRP erhöht. Bei einer effektiven Behandlung mit einem Triptan kann er reduziert werden. Bei Patienten mit chronischer Migräne ist dieser Stoff generell erhöht. Auch kann durch die Gabe von CGRP bei Migränepatienten eine Migräneattacke ausgelöst werden. Die in den letzten Jahren entwickelten Antikörper blockieren entweder die Substanz selbst oder den CGRP–Rezeptor. Die Medikamente werden mit einem Autoinjektor oder als Infusion im Abstand von vier Wochen oder drei Monaten dem Patienten gegeben. Sie führen nicht zu einer bleibenden Immunität, sondern müssen immer wieder erneut eingesetzt werden, um den Botenstoff zu stoppen. Man kann daher von einer sogenannten passiven Immunisierung oder Immuntherapie gegen Migräne sprechen. Die Behandlung mit monoklonalen Antikörpern hat die Migränetherapie entscheidend verbessert. Patientinnen und Patienten, denen man bisher nicht helfen konnte, können dadurch eine deutliche Reduktion ihrer Migräneattacken und eine völlig neue Lebensqualität erfahren. Allerdings sprechen auch nicht alle Patienten auf diese Therapie an. Die medikamentöse Behandlung sollte auch nie alleiniger Bestandteil einer zeitgemäßen Migränetherapie sein.

Und ist auch ein aktiver Impfstoff gegen Migräne am Horizont?

Monoklonale Antikörper gegen CGRP haben sich bei der Vorbeugung von Migräne als passive Immuntherapie wirksam erwiesen. Tatsächlich wird aktuell an einen Impfstoff gearbeitet, der die aktive Produktion von körpereigenen Antikörpern gegen CGRP anregen soll. Damit könnte sich für die Zukunft eine weitere neue Option zur Vorbeugung von Migräne ergeben. Immunogenitätsstudien mit dem Wirkstoff UB-313 wurden bisher experimentell durchgeführt. Impfstoff-induzierte körpereigene Serumantikörper wurden hinsichtlich ihrer Bindungs- und Funktionseigenschaften charakterisiert. Erste Studien zeigen, dass die Immunisierung mit UB-313 aktiv Anti-CGRP-Antikörper hervorruft. Diese Antikörper können menschliches CGRP binden und eine dosisabhängige funktionelle Hemmung von CGRP zeigen. Dies deutet auf Antikörpereigenschaften hin, die mit denen von bereits zugelassenen monoklonalen Antikörpern vergleichbar sind. Der Impfstoff UB-313 befindet sich aktuell nun seit September 2022 in der klinischen Entwicklung: In der laufenden Phase-1-Studie sollen Sicherheit, Immunogenität und Zielwirkung untersucht werden. Als potenziell sichere und wirksame Immuntherapie gegen CGRP könnte UB-313 eine kostengünstige und praktische Strategie zur Vorbeugung von Migräne darstellen.