Eine aktuell in „Lancet Neurology“ publizierte Studie unter Beteiligung der Schmerzklinik Kiel zeigt, dass für Patienten/Patientinnen mit medikamentenresistentem chronischem Cluster-Kopfschmerz die Okzipitalnerven-Stimulation (ONS) eine vielversprechende Behandlungsalternative darstellt. Bei der Hälfte der Patienten/Patientinnen konnte die Häufigkeit der Attacken mit der Elektrostimulation, die einem Herzschrittmacher ähnelt, um mindestens 50% reduziert werden. Fast alle, die an der Studie teilgenommen haben, würden die ONS anderen Betroffenen weiterempfehlen, ungefähr Dreiviertel davon sogar besonders nachdrücklich.

Der Clusterkopfschmerz ist der häufigste Typ der sogenannten trigemino-autonomen Kopfschmerzen. Die massiven Schmerz-Attacken betreffen meistens dieselbe Seite des Gesichtes im Bereich des Trigeminusnervs der Schläfenregion bzw. des Auges. Ca. 75% der Betroffenen sind Männer. Durch die hohe Intensität beeinträchtigen die Schmerzen die Lebensqualität der Betroffenen stark. Als Akuttherapie haben sich die Inhalation von reinem Sauerstoff sowie die subkutane Gabe von Sumatriptan etabliert. Zur Prophylaxe von Cluster-Kopfschmerz-Attacken empfehlen die Leitlinien den Einsatz von Verapamil. Auch Lithium kann zur Anwendung kommen, allerdings gibt es dazu keine randomisierten Daten. Kortikoide werden häufig zur Kurzzeit-Prophylaxe eingesetzt, um die Zeit bis zum Wirkungseintritt der Prophylaxe wie Verapamil zu überbrücken. Die Wirksamkeit wurde kürzlich in einer deutschen Studie wissenschaftlich belegt [2]. Eine weitere Behandlungsoption bei therapieresistentem Cluster-Kopfschmerz bzw. „MICCH” („medically intractable chronic cluster headache“) ist die Okzipitalnerven-Stimulation (ONS). Dazu wird ähnlich einem Herzschrittmacher ein kleiner elektrischer Impulsgeber unter die Haut implantiert, von dem aus dünne Elektroden zum Nacken, in Richtung der beiden Okzipitalnerven verlaufen. Die Stimulation löst Kribbeln oder Taubheitsgefühl im Stimulationsareal aus. Als Wirkmechanismus wird eine Modifikation der Schmerzsignale im Hirnstamm durch die elektrischen Signale angenommen. Bisherige Studien zur ONS waren unkontrolliert bzw. open-label und klein (zehn Patientenpopulationen mit insgesamt 274 Patientinnen/Patienten), die Basisdaten waren sehr heterogen und nicht alle primären Endpunkte waren für alle Patientinnen/Patienten verfügbar.

Nun wurde eine internationale, multizentrische Phase-III-Studie unter Beteiligung der Schmerzklinik Kiel publiziert (Zentren in den Niederlanden, Belgien, Deutschland und Ungarn), die erstmals randomisiert, doppelblind kontrolliert die klinische Wirksamkeit der ONS in einer großen, einheitlich definierten Population evaluierte (2010 bis 2017). Die Patienten waren im Mittel 44±13 Jahre alt und litten seit durchschnittlich sieben Jahren an den Kopfschmerzanfällen. Sie hatten mindestens viermal wöchentlich Attacken und auf mindestens drei Prophylaxe-Medikamente (u. a. Verapamil, Lithium, Methysergid, Topiramat, Gabapentin) nicht angesprochen (oder diese nicht vertragen/Kontraindikationen).

Zunächst gab es eine Beobachtungsphase über 12 Wochen, dann folgte über 24 Wochen eine ONS, randomisiert in zwei Gruppen mit entweder 100% oder 30% Stimulationsintensität von der zuvor individuell ermittelten Skala zwischen Parästhesie-Schwelle und maximal tolerierter Stromstärke (doppelblinde Phase; n=65 in der 100%-ONS-Gruppe und n=66 in der 30%-ONS-Gruppe). Ein doppelblinder Vergleich versus Placebo (d. h. Implantation, aber ohne Stimulation) wäre nicht praktikabel, da die Stimulation oft von den Patienten erkannt wird. Danach, in den Wochen 25-48, wurde mit individuell optimierten ONS-Dosierungen weiter stimuliert (open-label Phase). Der primäre Endpunkt war die wöchentliche Attackenfrequenz (in Woche 21-24) verglichen mit den Anfangshäufigkeiten. Die bisherige Nachbeobachtungszeit beträgt zwei Jahre.

Im Gesamtergebnis führten beide Stimulationsprotokolle zu einer schnellen und anhaltenden Verringerung der Attackenhäufigkeit um durchschnittlich 50%, die Schmerzintensität nahm um ein Drittel ab. Die wöchentliche Anfallsfrequenz zu Studienbeginn lag bei median 15,75 (IQR 9,44-24,75) und sank bis Woche 24 auf 7,38 (IQR 2,5-18,5): In der 100%-Gruppe von median 17,58 (9,83 bis 29,33) auf 9,5 (3,0-21,25) und in der 30%-Gruppe von 15,0 (9,25-22,33) auf 6,75 (1,5-16,5). Der mediane Gruppenunterschied der mittleren wöchentlichen Anfallsfrequenz am Ende der maskierten Phase (Wochen 21-24) betrug -2,42 (-5,17 bis -3,33). In der verblindeten Studienphase kam es in der 100%-Gruppe zu 129 unerwünschten Ereignissen und in der 30%-Gruppe zu 95 Ereignissen. Keines dieser Ereignisse war ungewöhnlich, 17/129 bzw. 8/95 Ereignisse wurden kurzzeitig stationär behandelt; meist handelte es sich um lokale Schmerzen, gestörte Wundheilung, Nackensteifigkeit und Hardware-Probleme. Insgesamt war die ONS sicher und gut verträglich. Auf Befragung würden über 90% der Teilnehmerinnen/Teilnehmer beider Gruppen die Therapie anderen MICCH-Patienten/-Patientinnen empfehlen.

Prof. Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel, einer der an der Studie teilnehmenden Wissenschaftler: “Die Daten eröffnen schwer Betroffenen eine weitere Behandlungsmöglichkeit für ansonsten nicht wirksam behandelbare Clusterkopfschmerzen. Erforderlich ist eine sorgfältige Diagnose und Indikationsstellung in spezialisierten Zentren. Die Ergebnisse geben endlich Hoffnung für Patientinnen und Patienten, die bisher nicht ausrechend behandelt werden konnten.”

Quellen

Link zur Studie

Link zum Verfahren

Pressemeldung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie