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Paracetamol stört Entwicklung fötaler Stammzellen
Paracetamol: Aktuelle Warnung vor der Einnahme in der Schwangerschaft
Paracetamol, Schwangerschaft, ADHS, Entwicklungsstörungen
Paracetamol bei Schmerzen im Hals-, Schulter- und Rückenbereich wirkungslos
(British Medical Journal 20.5.2015)
(Deutsches Ärzteblatt 22.5.2015)
Paracetamol in der Schwangerschaft kann die Fruchtbarkeit der Söhne stören
In einer neuen sehr sorgfältigen experimentellen Studie wurde von Wissenschaftlern der Universität von Edinburgh entdeckt, dass das Schmerzmittel Paracetamol die Produktion des männlichen Geschlechtshormons Testosteron in der Schwangerschaft unterdrücken kann. Die Verminderung kann bereits nachweisbar eintreten, wenn während der Schwangerschaft über sieben Tage Paracetamol eingesetzt wird. Eine eintägige Einnahme führt nicht zu nachweisbaren Veränderungen, der Zeitraum zwischen zwei und sechs Tagen ist nicht untersucht. Testosteron ist ein Schlüsselhormon für die Entwicklung der Geschlechtsorgane von männlichen Embryonen. Die Studie ist ein weiterer Beleg für die gravierenden Auswirkungen von Paracetamol, in der Schwangerschaft eingenommen, für die weitere lebenslange Entwicklung der Nachkommen.
Bereits im Jahre 2011 hat eine epidemiologische Studie auf das signifikant erhöhte Risiko für die Entwicklung einer Lageanomalie des Hodens bei Jungen (Kryptorchismus) hingewiesen. Aktuelle US-Studien zeigen, dass bis zu sechs Prozent der neugeborenden Jungen von Kryporchismus betroffen sind. Bei den betroffenen Kindern kann es später zu einer verminderten Zeugungsfähigkeit und einem erhöhten Risiko für das Auftreten von bösartigen Hodentumoren kommen. Die Spermienanzahl und die Spermienvitalität im späteren Leben können vermindert werden. Die kombinierte Einnahme von zwei Schmerzmitteln bei Schwangeren war mit einer siebenfach erhöhten Rate eines Kryptorchismus der neugeborenen Jungen verbunden. In dieser Studie wurde der Verdacht geäußert, dass die Auswirkungen von bereits einer Tablette Paracetamol mit 500 mg für das ungeborene Kind schädlicher sein könnte, als die zehn häufigsten Umweltschadstoffe. Der Untersuchung wurde als Kritik entgegengehalten, dass ein ursächlicher Zusammenhang noch nicht definitiv bewiesen sei.
Genau diese Kritik hat nun die aktuelle Studie aus Edinburgh aufgegriffen und die Mechanismen eingehend analysiert. Um den Zusammenhang zwischen Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft und den Einfluss auf die Fruchtbarkeit der Kinder aufzuschlüsseln wurde ein experimenteller Ansatz eingesetzt, der den Bedingungen während der menschlichen Schwangerschaft so nah wie möglich kommt. Mäusen wurde menschliches Hodengewebe implantiert. Paracetamol wurde den Mäusen dann für sieben Tage in den üblichen therapeutischen Dosen verabreicht.
Prof. Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel, betont die hohe Aussagekraft und Übertragbarkeit der Daten: „Die Studie untersucht die möglichen Abläufe, mit denen Paracetamol die fötale Entwicklung der Geschlechtshormone stört. Sie entschlüsselt erstmals, wie Paracetamol männliche Geschlechtshormone während der Entwicklung der Geschlechtsorgane im Mutterleib bei männlichen Föten stört. Besonders bedeutsam dabei ist, dass die Paracetamol-Konzentrationen in der Studie nicht höher waren, als die, die normalerweise beim therapeutischen Einsatz beim Menschen bei Schmerzen im Alltag eingesetzt werden“.
Die mit Paracetamol behandelten Mäuse zeigten deutlich niedrigere Spiegel von Testosteron in ihrem Blut als Mäuse, die mit einem Placebo behandelt worden sind. Wurden die Mäuse jedoch nur für einen Tag mit Paracetamol behandelt, zeigte sich kein bedeutsamer Effekt auf die Testosteronproduktion.
Der Hauptautor der Studie, Dr. Rod Mitchell, kommentierte: „Diese Studie fügt einen weiteren Beleg zu dem bisherigen Wissen hinzu, dass der längere Einsatz von Paracetamol während der Schwangerschaft das Risiko für eine Störung der Fruchtbarkeit bei männlichen Babys erhöht. Wir empfehlen daher schwangeren Frauen, Schmerzmittel in so geringer Dosis wie nur irgendwie möglich einzunehmen.“
Die meisten Störungen der Fruchtbarkeit von Männern hängen mit einer verminderten Testosteronproduktion während der embryonalen und fötalen Phase vor der Geburt zusammen. Die Faktoren, die eine Verminderung der Testosteronproduktion im Mutterleib bedingen, sind jedoch weitestgehend unbekannt. Aufgrund epidemiologischer Studien ist bekannt, dass der Kontakt mit Paracetamol von ungeborenen Kindern während der Schwangerschaft mit einem erhöhten Risiko für Hodenhochstand, späteren Hodenkrebs und Unfruchtbarkeit verbunden ist. Unklar war jedoch, ob Paracetamol direkt die Testosteronproduktion während der Fetalphase vermindern kann. Die Studie überprüfte an menschlichem fötalem Hodengewebe, ob Paracetamol die Testosteronproduktion verändern kann. Der Kontakt von therapeutischen Dosierungen von Paracetamol für sieben Tage bedingte eine bedeutsame Reduktion der Testosteronspiegel um 45%. Das Hodengewicht reduzierte sich um 18% ebenfalls signifikant. Weitere Studien an Ratten zeigten, dass die Paracetamol-bedingte Reduktion von Testosteron durch eine reduzierte Expression von wichtigen Steroiden bedingt wird, die als Enzyme bei der Bildung von Testosteron erforderlich sind.
Prof. Hartmut Göbel besorgt die nachhaltigen Auswirkungen der auch nur kurzfristigen Paracetamol-Einnahme in der Schwangerschaft: „Die Studie verdeutlicht an einem sehr sorgfältig durchgeführten experimentellen Modell, warum Paracetamol während der Schwangerschaft eingenommen zu Hodenhochstand und verkleinerten Hoden führen kann. Bereits eine siebentägige Einnahme kann mit lebenslangen Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit einhergehen“.
Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Befunde nicht direkt auf den Menschen übertragen werden können. Entsprechende Untersuchungen können jedoch aus ethischen Gründen nicht an schwangeren Frauen durchgeführt werden. Daher ist es nicht möglich, direkte Belege für den Zusammenhang an schwangeren Frauen wissenschaftlich zu analysieren. Die Studienergebnisse sind insbesondere wichtig, wenn Paracetamol über einen längeren Zeitraum oder immer wieder episodisch während der Schwangerschaft eingenommen wird. Bereits in früheren Studien zeigte sich ein Effekt zwischen der schmerzlindernden Wirkung von Paracetamol und Testosteron. In einer Studie aus dem Jahre 1985 wurde bereits beschrieben, dass die Behandlung mit Testosteron die Wirkung von Paracetamol um ca. die Hälfte reduziert. Eine weitere Studie aus dem Jahre 2012 beschrieb ebenfalls eine Reduktion von Testosteron nach schon dreitägiger Vorbehandlung durch Paracetamol, Acetylsalicylsäure oder Indomethacin im fötalen Hodengewebe der Ratte. Zwei weitere Studien aus dem Jahre 2013 a, b weisen ebenfalls auf diesen Zusammenhang hin.
Prof. Hartmut Göbel: „Paracetamol wird auch heute noch in vielen Leitlinien als Schmerzmittel schwangeren Frauen nahezu bedenkenlos empfohlen. Selbst aktuelle Leitlinien und Empfehlungen sagen aus, dass Paracetamol auch in der Schwangerschaft zu jeder Zeit eingenommen werden kann. Gerade bei episodischen immer wieder auftretenden Kopfschmerzerkrankungen, wie z.B. Spannungskopfschmerz, Migräne oder Kopfschmerzen bei Infektionen wird Paracetamol in großer Häufigkeit eingenommen. Paracetamol gehört zu dem am häufigsten verwendeten Arzneimittel, gerade über die Selbstmedikation in Deutschland. Aus epidemiologischen Studien ist bekannt, dass über die Hälfte der schwangeren Frauen aufgrund undifferenzierter Therapieempfehlungen zu Paracetamol auch bei geringen Schmerzen greifen. Studien haben jedoch belegt, dass Paracetamol trotz der ausgeprägten Risiken für das gesamte Leben der Kinder bei Rückenschmerzen und Schmerzen der Muskulatur keine größere Wirksamkeit als ein wirkstofffreies Scheinpräparat hat. Auch für den Einsatz von Kopfschmerzen gibt es zahlreiche Alternativen. In Hinblick auf die umfangreiche Datenlage kann Paracetamol während der Schwangerschaft nicht mehr und schon gar nicht vorbehaltlos empfohlen werden. Schmerzen in der Schwangerschaft sollten immer nur nach ärztlichem Rat bei absoluter Notwendigkeit medikamentös behandelt werden“.
Schwangere Frauen sollten auf die neuen Studienergebnisse hingewiesen werden. Sie sollten sich bewusst und aktiv entscheiden können, ob aufgrund dieser Datenlage Paracetamol für die Behandlung von Kopf- oder Rückenschmerzen verantwortet werden kann. Schmerzmittel sollten gerade während der Schwangerschaft nur mit der geringsten wirksamen Dosis für die kürzeste mögliche Zeit und nur nach ärztlichem Rat eingenommen werden.
Prof. Hartmut Göbel verdeutlicht die Risiken besonders für Jungen: „Gerade Mütter, die einen Sohn als Baby erwarten, sollten besonders zurückhaltend mit der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft sein“.
Umfangreiche internationale epidemiologische Studien haben bereits zuvor den Verdacht weiter erhärtet, dass durch die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft das Risiko erhöht ist, das die Kinder, im späteren Leben an Asthma erkranken. Die Studien belegen, dass Paracetamol einen Einfluss auf die Entwicklung fötaler Stammzellen der Leber hat. Diese sind bedeutsam für die Entwicklung des Immunsystems. Eine Störung kann die Immunabwehr im späteren Leben negativ beeinflussen. Dieser Mechanismus kann erklären, warum Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft Paracetamol eingenommen haben, im späteren Leben häufiger an Allergien und Asthma leiden.
Paracetamol während der Schwangerschaft erhöht nach neuen Studien bei den Kindern jedoch auch das Risiko für schwergradige Entwicklungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-/Überaktivitätsstörungen (ADHS) und Hyperaktivitätssyndrom (HAS). Kinder, die vor der Geburt mit Paracetamol in Kontakt kamen, weisen eine substanzielle neuronale Entwicklungsstörung drei Jahre nach der Geburt auf.

Epidemiologische Studien aus Dänemark zeigen, dass mehr als die Hälfte aller Mütter berichten, dass sie während der Schwangerschaft Paracetamol einsetzen. Kinder von Müttern, die Paracetamol während der Schwangerschaft verwendeten, zeigten ein um den Faktor 1,37 erhöhtes Risiko für eine Krankenhausdiagnose einer hyperkinetischen Erkrankung. In Hinblick auf die hohe Einnahmehäufigkeit von Paracetamol während der Schwangerschaft sind diese Ergebnisse von sehr hoher Relevanz für Gesellschaft und erfordern hohe Aufmerksamkeit im Rahmen der Versorgung von Schwangeren und Kindern.
In Deutschland weisen die Fachinformationen zu Paracetamol immer noch nicht auf die mögliche Fetotoxizität hin, wie das Deutsche Ärzteblatt feststellt. Trotz der deutlichen Hinweise seit mehreren Jahren heißt es in den Fachinformationen, dass epidemiologische Daten zur oralen Anwendung therapeutischer Dosen von Paracetamol „keinen Hinweis auf mögliche unerwünschte Nebenwirkungen auf die Schwangerschaft oder die Gesundheit des Feten/Neugeborenen“ ergeben hätten. Schwangere Frauen werden nicht sachgerecht informiert. Selbst die Beratungsstelle Embryotox motiviert zum Einsatz.
Paracetamol ist zugelassen für die “symptomatische Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen; Fieber.” Bei starken und sehr starken Schmerzen hat es schon deshalb keinen Platz in der Therapie. Das Medikament ist dafür weder zugelassen, noch sind Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit dafür belegt. Zu argumentieren, dass Paracetamol bei sehr starken Schmerzen alternativlos sei, weil sehr starke Schmerzen der Mutter schädlich für das ungeborene Kind seien, ist ohne belastbare wissenschaftliche Grundlage und konträr zum zugelassenen Einsatzgebiet. Das Medikament lindert starke und sehr starke Schmerzen nicht, es wird daher aufgrund der angeblichen “Unbedenklichkeit” versucht durch höhere Dosierung und wiederholte Einnahmen einen Effekt zu bewirken. Das therapeutische Ziel wird trotzdem nicht erreicht. Neben den weiter bestehenden Schmerzen werden Mutter und ungeborenes Kind zusätzlich durch den Substanzeffekt belastet.
Schmerztherapeuten verwenden Paracetamol daher so gut wie nie, es wirkt allenfalls bei leichten und mäßigen Schmerzen, nicht jedoch bei mittelschweren oder starken. Paracetamol wirkt nicht besser als extern aufgetragenes Pfefferminzöl bei Spannungskopfschmerzen. Stärkere Migräneanfälle werden nicht gebessert. Bei Rücken- und Muskelschmerzen ist es Placebo nicht überlegen. Es hat daher in der Schwangerschaft bei mittelstarken oder gar starken Schmerzen keinen Platz, das einzige was bisher für den Einsatz bei leichten Schmerzen sprach, war die „Unbedenklichkeit“. Diese ist jedoch durch die aktuellen Studien zum erhöhten Risiko von Asthma, ADHS, Hodenhochstand nicht mehr gegeben. Frauen sollten informiert entscheiden können, was sie tun wollen.
Und es gibt zahlreiche andere Optionen. Leichte Schmerzen sollte man in der Schwangerschaft mit Ruhe, Rückzug, Entlastung und Entspannung behandeln. Man muss nicht 4 Gramm Paracetamol schlucken und versuchen, funktionsfähig zu sein, um zu merken, dass es eh nicht hilft. Rückenschmerzen kann man mit Wärmetherapie, Bewegung und Physiotherapie behandeln. Das Ausstellen einer Arbeitsunfähigkeit oder ein Arbeitsverbot bei schweren Schmerzen entlasten. Vorbeugeugende Magnesiumgaben oder Magnesium-Infusion im Anfall können ebenfalls helfen. Zahlreiche vorbeugende verhaltensmedizinische Maßnahmen stehen zur Verfügung. In der Frühschwangerschaft sollten keine Schmerzmittel eingenommen werden. Im zweiten Trimenon ist Ibuprofen möglich. Dieses hat in den Studien kein erhöhtes Risiko wie Paracetamol gezeigt. Bei schwersten Migräneattacken ist Sumatriptan eine mögliche Option. Im medizinischen Notfällen gelten andere Regeln, hier geht es um Alltagssituationen in der Schmerztherapie.
Es ist in jedem Fall unabdingbar, dass Frauen, die während der Schwangerschaft eine Schmerzbehandlung brauchen, auf die jetzt bekannten möglichen Risiken eindeutig hingewiesen werden. Sie sollten sich vor der Anwendung folgende Fragen stellen: Möchte ich, dass mein Kind durch die Einnahme eines schwach wirkenden Schmerzmittels
- ein erhöhtes Risiko für Unfruchtbarkeit bekommt?
- ein erhöhtes Risiko für Allergien und Asthma bekommt?
- ein erhöhtes Risiko für eine schlechtere gesamtmotorische Entwicklung, beeinträchtigtes Kommunikations- und Sozialverhalten sowie verstärkte Hyperaktivität bekommt?
- ein erhöhtes Risiko für hyperkinetische Störungen (HKS) und Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) bekommt?
Fazit
Quelle:
S. van den Driesche, J. Macdonald, R. A. Anderson, Z. C. Johnston, T. Chetty, L. B. Smith, C. McKinnell, A. Dean, N. Z. Homer, A. Jorgensen, M. E. Camacho-Moll, R. M. Sharpe, R. T. Mitchell, Prolonged exposure to acetaminophen reduces testosterone production by the human fetal testis in a xenograft model. Sci. Transl. Med. 7, 288ra80 (2015).
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