Prof. (em) Dr. Dr. Burkhard Bromm feierte am 30.06.2015 seinen 80. Geburtstag. Der Jubilar studierte Physik, Mathematik und Medizin in Tübingen, Hamburg, Kiel und Stockholm. Er habilitierte in Physiologie an der Universität Kiel, erhielt einen Ruf an die Ruhr-Universität Bochum und wurde 1974 Direktor der Abteilung für Neurophysiologie an der Universität Hamburg. Von 1977 bis 2000 war er geschäftsführender Direktor des Physiologischen Instituts am Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt galt der Analyse von zentralnervösen Schmerzmechanismen und neuronalen Korrelaten des Schmerzes. Mit elektrophysiologischen Analysen gelangen ihm bahnbrechende neue Einblicke in die Informationsverarbeitung von Schmerz sowie die neurologischen Grundlagen des Bewusstwerdens schmerzrelevanter Hirnaktivität.

Anlässlich seines 80. Geburtstages fand am 03.07.2015 ein Festsymposium der Akademie der Wissenschaften Hamburg zu Ehren des Jubilars zum Thema

Schmerz und Bewusstsein

statt. Das Symposium sollte aus heutiger Sicht der Tatsache nachgehen, dass Patienten Schmerzen psychisch und mental modulieren können. Dabei standen neurophysiologische Mechanismen im Fokus, mit denen therapeutische Verfahren wie z.B. der kognitiven Hypnotherapie (Hypnotische Induktion, Entspannung, Dissoziation, Analgesie, Geschützter Platz, Ablenkung, Schmerzumschreibung), Autosuggestion, Placebo oder Nocebo auf Schmerzen einwirken können. Auch die aktive, mit freiem Willen gesteuerte Veränderung des Schmerzempfindens sollte Thema werden. Das Symposium führte damit an die Grenzen des „Leib-Seele-Problems“. Dieses zentrale Thema des Menschseins wollte der Jubilar anlässlich des Symposiums in den Mittelpunkt stellen. Prof. Dr. Dr. Bromm erklärte dazu: „Mit 80 darf man das, wenn überhaupt. Wenn nicht jetzt, wann dann?“.

Nach Begrüßung durch den Dekan der Medizinischen Fakultät des Universitätsklinikums Hamburg, Prof. Dr. Dr. Uwe Koch-Gromus, folgten Grußworte von Prof. Dr. Jürgen Schwarz, Zentrum für molekulare Neurobiologie Hamburg, Prof. Dr. Heimo Ehmke, Institut für molekulare und integrative Physiologie, Universitätsklinikum Hamburg, Prof. Dr. Wolfgang Jelkmann, Präsident der Deutschen physiologischen Gesellschaft, Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede, Präsident der International Association for the Study of Pain und Prof. Dr. Ing. Prof. E. H. Edwin J. Kreuzer, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg.

Das anschließende Symposium wurde durch Prof. Dr. Jörn Hennig Wolf, Sprecher der Akademie der Wissenschaften in Hamburg – Arbeitsgruppe „Rationale Entscheidungen auf unsicheren Grundlagen“ moderiert.

Prof. Dr. Hartmut Göbel, Schmerzklinik Kiel, führte in die klinische Bedeutung von willentlichen und den Willen nicht unterlegen Effekten der kognitiven und affektiven Beeinflussung von Schmerzen ein. Anhand von klinischen Beispielen und wissenschaftlichen Befunden verdeutlichte er die zentrale Bedeutung der bewertenden, affektiven und kognitiven Komponente des Schmerzerlebnisses. Zeitgemäße Schmerztherapie basiere auf der Ablösung des früheren linear-kausalen Modells von Schmerzen. Physiologische, biochemische, verhaltensmedizinische sowie subjektiv kognitive Mechanismen einschließlich der systemtheoretischen Verarbeitung bedingten das bewusste Schmerzerlebnis und müssen in der praktischen Therapie in den Mittelpunkt gestellt werden. Erst so könne die Initiierung von Schmerzerkrankungen, die Aufrechterhaltung und die Chronifizierung von Schmerzen verstanden und effektiv behandelt werden.

Dr. Falk Eippert, University of Oxford, erläuterte experimentelle Untersuchungen der Wirkung von Placeboeffekten bei nociceptiver Stimulation mit Laserreizen. Er unterlegte diese Befunde zusätzlich mit Brain-Imaging-Experimenten. Er schlug mit seinen Befunden die Brücke zwischen klinischen Beobachtungen und neurophysiologischer Forschung. Falk Eippert und seine Kollegen setzten die funktionelle Kernspintomographie ein, um das Rückenmark von Probanden zu beobachten, während diese an einem schmerzhaften Versuch teilnahmen. Die Forscher fanden u.a., dass schon die Nervenzellen des Rückenmarks bei einem gleich starken Hitzeschmerz weniger aktiv reagierten, wenn die Versuchsperson nach Gabe eines Placebos eine Schmerzlinderung erwartete.

Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede, Lehrstuhl für Neurophysiologie, Universität Heidelberg-Mannheit und Präsident der International Association for the Study of Pain, erläuterte die Bedeutung von EEG- und MEG-Signalen für Bewusstseinsvorgänge bei Schmerzen. Er stellte neue Befunde zu kognitiven Potenzialen dar, die unter Narkose reduziert werden und durch Aufmerksamkeitszuwendungen bzw. Ablenkung verstärkt werden. Eingehend erläuterte er Hirnstrukturen, die dabei verantwortlich sind und erörterte neurophysiologische Korrelate von Schmerz und Juckreizen.

Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, Institut für Hirnforschung an der Universität Bremen, Präsident der Studienstiftung des Deutschen Volkes von 2003 bis 2011, diskutierte Befunde zur Neurophysiologie von Bewusstsein und Willensfreiheit sowie bewussten und willentlichen Entscheidungen. Er erläuterte Strukturen und Funktionen des limbischen Systems sowie neuronale Grundlagen der Affekte und Emotionen. Das Unbewusste bestimme weitgehend das Bewusstsein; es entstehe ontogenetisch vor dem Bewusstsein und  es lege sehr früh die Grundstrukturen der Weise fest, wie wir mit uns und unserer Umwelt umgehen. Das emotionale Erfahrungsgedächtnis habe das erste und das letzte Wort, beim Entstehen unserer Wünsche und Handlungsabsichten und bei der Letztentscheidung über die Realisierung.

Der Jubilar selbst ging in seinem Vortrag zum Thema „Über die Freiheit, seinen Schmerz zu unterdrücken“ auf die Möglichkeiten des freien Willens ein, Schmerzen zu ändern. Schmerz könne die Aufmerksamkeit von allen anderen Erlebnisdingen ablenken. Aufbauend auf klinischen und experimentellen Ergebnissen erläuterte er, wie der Ablauf von Schmerzempfindungen modifiziert werden könne und welche neuronalen Mechanismen dabei Grundlage seien. Zahlreiche Befunde hätten mittlerweile nachgewiesen, dass die für eine willentliche und bewusste Handlung erforderlichen physikalisch messbaren neurologischen Prozesse bereits längst begonnen hätten, bevor der Erlebende das Gefühl einer bewussten Entscheidung zu meinen habe. Die Vorstellung des freien Willens werde daher ebenfalls zum Produkt neurologischer Prozesse, die längst abgelaufen seien, bevor die Handlung selbst bewusst und ausgeführt werde.

Die Ausführungen führten an die Grenzen des menschlichen Bewusstseins und die Grundlagen der Eigenverantwortlichkeit des Individuums für Empfindungen, für Freiheit und Willen.

Das Symposium wurde mit einem Festabend auf der Rickmer Rickmers beschlossen.

Das nachfolgende Video zeigt die Ausführungen des Hirnforschers Prof. Dr. Dr. Bromm zur Willensfreiheit anlässlich eines früheren Vortrages der Hermann-Ehlers-Akademie in Kiel.