Merkhilfe

Migränepass

Mögliche Auslöser der Attacken

Bei der Auslösung der Migräneattacken müssen auslösende Faktoren – so genannte Triggerfaktoren – im Sinne eines „Anstoßens“ der Migräneattacke von den eigentlichen „Ursachen“ streng getrennt werden. Während die Ursache in einer spezifischen übermäßigen Reaktionsbereitschaft des Organismus besteht, können Triggerfaktoren sehr mannigfaltige Bedingungen sein, die die Migränekaskade zum Ablaufen bringen. Ein Großteil der Migräneattacken kommt wie aus heiterem Himmel: Auch beim besten Willen lässt sich kein spezifischer Triggerfaktor für die spezielle Migräneattacke finden.

Folgende Triggerfaktoren sind jedoch besonders potente Kandidaten, um eine Migräneattacke in Gang zu bringen:

  • Plötzlicher Stress
  • Veränderungen des Tagesrhythmus
  • Ausgeprägte Emotionen
  • Hormonelle Veränderungen
  • Auslassen von Mahlzeiten
  • Überanstrengung und Erschöpfung

Es kristallisiert sich heraus, dass der gemeinsame Nenner aller Triggerfaktoren eine plötzliche Veränderung des normalen Lebensrhythmus ist. Durch welche Faktoren, durch welche Mechanismen und Umstände diese Veränderung herbeigeführt wird, scheint dabei weniger von Bedeutung zu sein.

Stress – für jeden etwas anderes

Die Ansichten über das, was Stress ist, klaffen weit auseinander. Für den einen ist es Stress, was ihn an seinem Arbeitsplatz erwartet, für den anderen das lebendige Treiben von Kindern. Manch einer ist „im Stress“, weil er noch rasch etwas erledigen will oder weil er immer noch nichts zu essen bekommen hat. Mindestens ebenso unterschiedlich wie die populären Vorstellungen von Stress, sind auch die wissenschaftlichen. Etwas überspitzt formuliert könnte man sagen, dass jede Fachrichtung, sei es die Psychologie, die Biologie, die Ökologie oder eine andere, ihre eigene Definition besitzt.

Das Reiz-Reaktions-Modell

Orbitaler Kopfschmerz

Orbitaler Kopfschmerz

Am weitesten verbreitet ist noch ein Reiz-Reaktions-Modell, das auf den Arbeiten des 1982 verstorbenen Biochemikers und Physiologen Hans Selye basiert. Nach diesem Modell wird Stress als eine Folge von schädigenden physikalischen, psychischen und sozialen Einflüssen (in dem Modell „Stressoren“ genannt) aufgefasst, welche ein weitgehend identisches Reaktionsmuster bei den Betroffenen auslösen. Ziel der Reaktionen des Gesamtorganismus ist es dabei, die störenden Einflüsse zu kompensieren, den Organismus also an die Stressoren anzupassen (allgemeines Adaptationssyndrom).

Die Stressoren selbst können dabei alles mögliche sein: Kälte oder Hitze, körperliche Belastung, der Verlust eines Angehörigen, die Arbeitssituation und vieles mehr. So gibt es beispielsweise eine Skala, auf der verschiedene kritische Lebensereignisse hinsichtlich ihrer stressauslösenden Potenz in eine Rangreihe gebracht wurden, die so genannte „soziale Veränderungsbeurteilungsskala“. Es ist jedoch dabei zu beachten, dass in diese Skala nur Mittelwerte eingegangen sind. Wie aber jeder Einzelne auf solche stressauslösenden Ereignisse reagiert, kann vollkommen verschieden sein, da jeder etwas anderes als „stressig“ empfindet. Was für den einen schon Stress ist – etwa das Kennenlernen neuer Menschen – ist für einen anderen eine willkommene Abwechslung. Es kommt also auch auf die Wertung an. Unabhängig davon gibt die Skala jedoch einen guten Überblick über das, was von vielen als Stress empfunden werden kann.

Stress muss nicht stressig werden

Im täglichen Leben gibt es jedoch eine ganze Reihe verschiedenster Stresserfahrungen, die nicht in der Skala vorkommen. Dies kann zum Beispiel das Klingeln eines Telefons im unerwarteten Augenblick sein, sich ständig ändernde Lichtverhältnisse oder auch die berühmte Fliege an der Wand. Diese alltäglichen Stressoren können sich erst in der Summe zu bedeutsamen Faktoren entwickeln.

Darüber hinaus sind positive Erlebnisse im Alltag sehr wichtig, um solche geringfügigen Stresserfahrungen zu kompensieren. So können positive Erlebnisse kleine Stressoren, die sich sonst addieren, wieder aufwiegen. Das kann eine gute Nachricht sein, ein Blumenstrauß oder einfach die Erfahrung, gut ausgeschlafen zu haben.

Neben der eigentlichen Stresssituation und deren Bewertung ist jedoch auch die Fähigkeit des Einzelnen wichtig, auf die stresshafte Situation einzuwirken und mögliche Verhaltensstrategien zu entwickeln, um eine bestimmte Situation erst gar nicht in Stress ausarten zu lassen (Coping-Fähigkeiten).

Wann löst Stress Migräne aus?

Stress, Belastungen und emotionale Einflüsse sind es, die von Migränepatienten am häufigsten als auslösende oder verschlimmernde Faktoren für Migräneattacken genannt werden. Systematische Studien belegen, dass es nicht auf das absolute Stressniveau – also gewissermaßen den Grad an Stress – ankommt, sondern vielmehr auf plötzliche Veränderungen im Stressniveau. Entsprechend lassen sich zwei Bedingungsfolgen, nämlich

  • Stress-Entspannung-Migräne und
  • Entspannung-Stress-Migräne

abgrenzen. Wenn es also gelingt, so kann man daraus folgern, den Niveauunterschied zwischen entspanntem Normalzustand und Stress zu verringern, so müsste sich eigentlich auch die Anfallshäufigkeit reduzieren. Und genau das ist der Fall. Zweifelsfrei gehören deshalb Entspannungsverfahren wie z.B. die progressive Muskelrelaxation sowie die Planung eines regelmäßigen Tagesablaufs zu den wichtigsten Bausteinen einer nichtmedikamentösen Migränetherapie.

Der Schlaf-Wach-Rhythmus

Die meisten Migräneattacken werden entweder am frühen Morgen oder am Nachmittag ausgelöst. Ein Zusammenhang mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus wird deshalb natürlich intensiv diskutiert. Einzelfallberichten zufolge soll besonders bei der Migräne ohne Aura eine Bindung an das Schlafmuster vorliegen. Bei einem kurzen Schlaf löst danach erst das Erreichen tieferer Schlafstadien, wie insbesondere die REM-Phase 3 und die REM-Phase 4, Migräneattacken aus. Entsprechend sollen auch besonders lange und tiefe Schlafphasen in der Nacht in der Lage sein, an den betreffenden Tagen Migräneattacken in Gang zu bringen.

Nach dem Einschlafen geht es zunächst stufenweise „hinunter“ in die tiefste Tiefschlafphase (Non-REM-Schlaf). Etwa 80 bis 90 Minuten nach dem Einschlafen tauchen wir in die erste REM-Schlafphase ein (REM = rapid eye movement, schnelle Augenbewegungen), in der wir besonders intensiv träumen. Diese Phase dauert ca. fünf bis zehn Minuten und wird wieder gefolgt von einem Abstieg in den Tiefschlaf. Je nach Länge des Nachtschlafs kommen wir auf vier bis fünf dieser Zyklen Non-REM-/REM-Schlaf, wobei die Tiefe der Non-REM-Phasen abnimmt und die Länge der REM-Phasen zunimmt.

Wenngleich diese Daten nicht durch kontrollierte Studien belegt sind – es handelt sich eben nur um Einzelfallberichte – so gibt es doch einiges mehr, das für einen Zusammenhang zwischen Schlaf und Migräne spricht. So zum Beispiel die Tatsache, dass bei Bindung der Migräne an bestimmte Wochentage der Samstag mit der größten Häufigkeit als Migränetag vorkommt. Ein wichtiger Grund dafür könnte sein, dass am Samstag später aufgestanden bzw. am Freitag später ins Bett gegangen wird.

Natürlich können solche monokausalen Erklärungsversuche durch andere Bedingungen überdeckt sein. Dazu gehört insbesondere die Entspannung sowie die veränderte Nahrungseinnahme am Wochenende, einschließlich Kaffeekonsum. Diese mannigfaltigen Variablen zeigen, dass ein monokausales Denken bei der Suche nach Auslösefaktoren von Migräneattacken wenig sinnvoll ist. Dennoch scheint es sinnvoll, den potenziellen Auslöser Schlaf-Wach-Rhythmus im Hinterkopf zu behalten und weiter systematisch zu erforschen.

Von Alkohol bis Zitrusfrüchte

Nahrungsmittel werden nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch von Ärzten sehr häufig als potente Auslöser von Migräneattacken angesehen. Bei der Beurteilung, inwieweit Nahrungsmittel tatsächlich Triggerfaktoren darstellen, müssen wir aber sehr, sehr vorsichtig sein. Ich möchte hier keinesfalls den Eindruck erwecken, die Meinungen der Patienten nicht ernst zu nehmen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich möchte Sie nur dafür sensibilisieren, dass sich hier leicht Vorurteile einschleichen, die dann obendrein sehr breit gestreut wieder auftauchen. Es ist nur verständlich, dass man bei einer so behindernden Erkrankung wie der Migräne jede einfache Erklärung gern glauben möchte. Doch leider ist die Migräne nicht so einfach. Versuchen Sie deshalb bitte – und das gilt im Grunde für alle Aspekte und Auslöser der Migräne – so objektiv wie möglich zu bleiben, wenn Ihnen jemand das Ei des Kolumbus erklären möchte.

Das Glas Sekt am Nachmittag

Etwa 20 Prozent aller Migränepatienten berichten, dass bei ihnen nahrungsbedingte Triggerfaktoren eine Rolle spielen, besonders häufig Alkohol. In der Regel gilt dies dann für alle alkoholischen Getränke. Einige wenige meinen, es seien nur bestimmte alkoholische Getränke, insbesondere Rotwein und Sekt.

Interessant daran ist, dass dabei oft nicht allein das alkoholische Getränk eine Rolle spielt, sondern auch und vor allem die Tageszeit, zu der es konsumiert wird. So gibt es Menschen, bei denen zum Beispiel Sekt nach 20 Uhr folgenlos bleibt, am frühen Nachmittag bei der Verabschiedung eines Arbeitskollegen hingegen mit nahezu hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit eine Migräneattacke auslöst.

Definitive Aussagen bisher unmöglich

Zur Zeit ist es nicht mit Sicherheit möglich, die Auslösung von Migräneattacken mit einem bestimmten Stoff in Verbindung zu bringen. Möglicherweise verhält es sich hier aber ähnlich wie bei der Auslösung von Migräneattacken durch Alkohol: Nicht das Nahrungsmittel allein, sondern Zeitpunkt und Art der Nahrungsmitteleinnahme müssen für die Auslösung von Migräneattacken verantwortlich gemacht werden.Die üblichen weiteren Verdächtigen

Für das sog. China-Restaurant-Syndrom wurde der Gewürzverstärker Glutamat verantwortlich gemacht. Allerdings wurde dazu mittlerweile eine kontrollierte Studie im Doppelblinddesign durchgeführt, die den bisher von Kopfschmerzforschern akzeptierten Auslöser Glutamat für das China-Restaurant-Syndrom nicht bestätigen konnte. Auch diese Tatsache zeigt noch einmal eingehend, wie vorsichtig man bei der Interpretation von Einzelfaktoren sein muss.

Kaffee: Ein kleiner Lichtblick

Ein Befund ist mittlerweile recht gut mit Studien untermauert: der Zusammenhang zwischen Koffein und Migräneattacken. So zeigte sich in einer doppelblinden, randomisierten Cross-over-Studie, dass bei Probanden, die normalerweise bis zu sechs Tassen Kaffee am Tag trinken, die Einnahme von dekoffeiniertem Kaffee tatsächlich mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Migräneattacken einhergeht. Die Kopfschmerzen beginnen in der Regel am ersten Tag nach dem Weglassen des Koffeins und haben eine mittlere Dauer von zwei bis drei Tagen.

Doppelblinde, randomisierte Cross-over-Studien – was ist das eigentlich? Doppelblind bedeutet, dass weder der Untersucher, also derjenige, der zum Beispiel das Präparat verabreicht, noch die Testperson wissen, ob es sich um ein echtes Präparat oder ein wirkstofffreies Scheinpräparat (Placebo) handelt. So soll ausgeschlossen werden, dass der Untersucher die Testperson unbewusst beeinflusst. Randomisiert bedeutet, dass die Zuordnung zur jeweiligen Behandlung durch eine zufällige Auswahl der Testpersonen getroffen wird. Und der Begriff „Cross-over“ meint, dass die Testpersonen nicht nur entweder Präparat A oder B erhalten, sondern in einem gewissen zeitlichen Abstand, beide Präparate nacheinander. Derartige Studien genießen unter Forschern einen hohen Stellenwert, schließen sie doch zahlreiche mögliche Fehlerquellen aus.

Auch Medikamente können die Migräne auslösen

Für eine Vielzahl von Medikamenten werden Kopfschmerzen als unerwünschte Nebenwirkung angegeben. Bisher ist es jedoch leider unklar, ob es sich bei den jeweiligen Kopfschmerzen tatsächlich um Migräneattacken handelt oder nur um symptomatische Kopfschmerzen aufgrund einer akuten oder chronischen Wirkung der jeweiligen Substanz.

Für Stickstoffmonoxid – er wird im Körper z.B. aus Medikamenten gegen Bluthochdruck und Mangeldurchblutung des Herzen freigesetzt – liegt mittlerweile eine Reihe von Untersuchungen vor. Diese weisen darauf hin, dass die Substanz tatsächlich in der Lage ist, Kopfschmerzattacken auszulösen, die den Migräneattacken zumindest gleichen.

Medikamente, die häufig zu Kopfschmerzen führen, sind insbesondere Östrogene, Ergotalkaloide, Koffein, Indometacin (z.B. eingesetzt bei Arthritis, Wirbelsäulenleiden oder Menstruationsbeschwerden), Reserpin (gegen Bluthochdruck), Nifedipin (gegen Bluthochdruck und Angina pectoris) und Dipyridamol (Vorbeugung von Schlaganfall, nach Herzinfarkt).

Ist eventuell das Wetter Schuld?

Wetterfaktoren werden in der Bevölkerung als besonders wichtig in der Auslösung von Migräneattacken angesehen. In Süddeutschland lebende Migräniker machen besonders den Föhn verantwortlich. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet sieht das Bild jedoch etwas anders aus: Bis heute gibt es keine ernst zu nehmenden Studien, die einen Zusammenhang zwischen Wettersituationen und der Auslösung von Migräneattacken belegen würden. Zudem gibt es indirekte Gründe, die gegen diesen vermeintlich hohen Stellenwert von Wettersituationen als Auslöser sprechen: Die weitgehende Übereinstimmung der Migränehäufigkeit in den verschiedenen Ländern der Welt und insbesondere auch die weltweit große Übereinstimmung der Häufigkeit der Kopfschmerztage pro Monat oder Jahr.

Wenn man genauer analysiert, wie sich Migräneattacken zu Wettermechanismen verhalten, zeigt sich, dass nur ein geringer Anteil der Migräneanfälle mit bestimmten Wetterlagen in Verbindung gebracht werden kann.

Auch wenn die Datenlage hierzu nach wie vor nicht eindeutig ist, so muss man doch festhalten, dass besonders empfindliche Menschen durchaus auf sich schnell ändernde Wetterverhältnisse mit Migräneattacken reagieren können.

Hormonelle Veränderungen

Vor allem bei Frauen mit Migräne ist der Zusammenhang mit den hormonellen Schwankungen während des Menstruationszyklus naheliegend und wird von Frauen auch immer wieder genannt. Tatsächlich gibt es diesen Zusammenhang, wenngleich nicht in dem Ausmaß, wie gemeinhin angenommen. Kurz vor der Menstruationsblutung sinken sowohl der Östrogenspiegel als auch der Progesteronspiegel. Sicher ist, dass genau dieses Absinken des Östrogens bei etwa fünf Prozent der von Migräne betroffenen Frauen den Auslöser für die Migräneattacken darstellt. Ein Zusammenhang mit dem Progesteron sowie den anderen Hormonen des Zyklus (Follikelstimulierendes Hormon, Luteinisierendes Hormon) konnte nicht gefunden werden.

Merkhilfe Migränepass

Nobody is perfect, schon gar nicht, was das Erinnern möglicher Auslösefaktoren der einzelnen Migräneattacken angeht. Benutzen Sie deshalb bitte die Triggerfaktoren-Checkliste im Migränepass (siehe Download-Box rechts oben), um alle relevanten Fakten festzuhalten. Sollten Sie weitere als die aufgeführten Faktoren für wichtig erachten, schreiben Sie diese bitte unbedingt dazu.