Eine der Eigenarten von Migräneattacken aus Sicht der Betroffenen ist, dass sie immer dann auftreten, wenn man sie gerade überhaupt nicht gebrauchen kann. So wenig vorhersehbar der individuelle Verlauf der Migräne ist, sie hält sich jedoch auch an Regeln: spätestens nach 72 Stunden ist die Migräne vorbei. Diese biologische Konstante spiegelt sich auch in den diagnostischen Kriterien der Migräne (Kopfschmerzklassifikation der International Headache Society IHS) wieder: Ein Hauptkriterium der Migräne ist eine unbehandelte Dauer der Kopfschmerzattacken von 4 bis 72 Stunden.

Aber bedauerlicherweise gibt es auch von dieser Regel eine Ausnahme: den Status migraenosus. Mit diesem Begriff bezeichnet man Migräneattacken, die aus welchen Gründen auch immer länger als 72 Stunden anhalten. Der Status migraenosus wird von der IHS unter den Migränekomplikationen aufgelistet.

Befragt man Patienten, ob sie auch schon einmal derartig lange Migräneattacken durchlitten haben, dann wird die Mehrzahl dies bestätigen. Bei den meisten Betroffenen wird es sich um eine Ausnahme gehandelt haben. Bei einigen jedoch sind die langen, zermürbenden und kräftezehrenden Migräneattacken die Regel. Typisch sind dabei insbesondere drei Konstellationen:

  1. Menstruationsassoziierter Status migraenosus
    Ein häufiger Auslöser von langen Migräneattacken sind die hormonellen Veränderungen zum Zeitpunkt der Menstruation. Nach zwei bis drei Tagen mit Migräne, die sich mehr oder weniger gut behandeln ließen, klingen die Kopfschmerzen ab. Frau scheint die Attacke überwunden zu haben, nur um nach einer kurzen Pause von einigen Stunden erleben zu müssen, dass die Migräne auf der anderen Kopfhälfte wiederkehrt, wo sie noch einmal genauso lange wütet.
  2. Therapieresistente Migräneattacke
    Vielen Patienten steht eigentlich eine wirksame Attackenmedikation zur Verfügung, auf die sie sich meistens selbst bei schweren Attacken verlassen können. Immer wieder aber kommt es auch zu Attacken, in denen das sonst so wirkungsvolle Konzept versagt. Die erste Triptandosis bringt keinerlei Linderung, eine wider besseren Wissens doch eingenommene zweite Triptandosis verpufft auch ohne Wirkung. Man greift zu Schmerzmitteln, die sowieso noch nie wirklich geholfen haben und richtig, sie helfen auch jetzt wieder nicht. Es bleibt nur das Bett und die Hoffnung, dass die Migräne doch irgendwann von alleine abklingt. Aber gerade diese Attacke verschwindet nicht nach drei Tagen.
  3. Status migraenosus bei Medikamentenübergebrauch
    Hier ist die Situation zunächst komplett entgegengesetzt. Die Migräne lässt sich gut durch die Medikation, meist ein Triptan, beenden, aber nur scheinbar. Mit Absinken des Triptanspiegels kehrt die Migräne nach 12 bis 24 Stunden wieder, ein Phänomen, das man als Wiederkehrkopfschmerz bezeichnet. Notgedrungen wiederholt man also die Triptaneinnahme (was ja einmal innerhalb von 24 Stunden im Rahmen der Anwendungsregeln möglich ist) und wieder funktioniert es: der Migräneschmerz klingt ab. Aber dieses Mal hält die Wirkung nicht mehr solange an. Die nächsten Stunden und Tage sind dann geprägt von einem Auf und Ab der Migräne. Durch immer neue Einnahmen von Schmerzmitteln und Triptanen kann zwar jeweils eine vorübergehende Besserung erreicht werden, die Wirkung wird jedoch immer geringer und hält immer kürzer an. Schmerzfreiheit wird nicht mehr erreicht, nur noch die Schmerzspitzen können gekappt werden. Das Schmerzbild wird immer weniger eindeutig, die schmerzfreien Zeiten nehmen kontinuierlich ab, die Schmerzen treten oft am frühen Morgen aus dem Schlaf heraus auf, die Widerstandskraft gegen die Migräne wird zunehmend weniger, die Stimmung wird gedrückt, der Schmerz erhöht Reizbarkeit, Anspannung, Energielosigkeit, der Antrieb und die Leistungsfähigkeit werden mehr und mehr reduziert. Irgendwann kommt dann der Moment, an dem nichts mehr hilft. Und wieder bleibt nur das Bett und die Hoffnung, dass die Migräne doch irgendwann von alleine abklingt. Aber auch diese Attacke verschwindet nicht nach drei Tagen, Zermürbung, Hoffnungslosigkeit und Resignation nehmen zu.

Therapie des Status migraenosus

Je nach Typ des Status migraenosus kommen unterschiedliche Behandlungsoptionen in Frage.

Vorbeugung

Beim menstruationsassoziiertem Status migraenosus handelt es sich um ein vorhersehbares Ereignis, das damit gezielten vorbeugenden Maßnahmen zugänglich ist. Liegt keine Migräne mit Aura vor, kann versucht werden, den Hormonabfall, der diese Migräneattacke triggert, durch eine Hormongabe auszugleichen. Am einfachsten ist dies für Frauen, die sowieso eine hormonelle Kontrazeption mit einem Kombinationspräparat aus Östrogen und Gestagen durchführen. Anstatt die „Pille“ jeweils nach drei Wochen für sieben Tage zu pausieren, nimmt man sie als Langzyklus über 3 x 21 Tage oder 6 x 21 Tage durch. Dabei tritt die Regel und damit die menstruationsassoziierte Migräne damit nur noch alle drei bzw. sechs Monate auf. Ein alternatives Konzept ohne Einsatz von Hormonen sieht vor, ein langwirksames Triptan wie Naratriptan oder Frovatriptan oder das langwirksame Schmerzmittel Naproxen jeweils morgens und abends vorbeugend über eine Woche einzunehmen. Die Behandlung beginnt dabei zwei Tage vor erwartetem Auftreten des menstruationsassoziierten Status migraenosus. Dieses Konzept kann nur eingesetzt werden, wenn in der restlichen Zykluszeit kaum behandlungsbedürftige Kopfschmerzen bestehen und damit das Risiko für die Entwicklung eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch gering ist.

Tritt ein Status migraenosus unabhängig vom menstrualem Zeitfenster auf, so kommen grundsätzlich alle üblichen medikamentösen und nichtmedikamentösen Optionen zur Migränevorbeugung in Betracht. Ziel einer Migränevorbeugung ist neben der Reduktion der Migränehäufigkeit und der Schmerzintensität gerade auch die Reduktion der Attackendauer.

Eine weitere Option zur Vermeidung eines Status migraenosus ist die primäre Vermeidung von Wiederkehrkopfschmerzen. Gerade bei alleiniger Gabe von Triptanen ist der Wiederkehrkopfschmerz substanzabhängig bei 25 bis 50% der Attacken zu beobachten. Diese Rate lässt sich senken, wenn zu Beginn der Migräneattacke zeitgleich mit dem relativ kurz wirkenden Triptan das lang wirkende entzündungshemmende Schmerzmittel Naproxen eingenommen wird.

Akutbehandlung

Vorbeugende Maßnahmen kommen zu spät, wenn ein Status migraenosus bereits eingetreten ist. Die Erfahrung zeigt, dass die Einnahme von Triptanen und/oder Schmerzmitteln im Status migraenosus mit jedem Tag weniger und kürzer wirksam ist und anstatt die Migräne zu beenden, verlängern die Medikamente die Attacke nur noch. Daher gilt die generelle Empfehlung, ab dem vierten Tage einer Migräne auf Schmerzmittel und Triptane zu verzichten. Auch wenn man es sich nicht vorstellen kann, die schnellste Art aus dem Status migraenosus herauszukommen, ist in dieser keine Akutmedikation wie Schmerzmittel oder Triptane mehr einzunehmen, die man bereits vorher eingenommen hat. Zielführender sind Medikamente gegen Übelkeit. Das rezeptfrei erhältliche Dimenhydrinat, u.a. unter dem Handelsnamen Vomex® A bekannt, bietet jetzt gegenüber MCP den Vorteil einer zusätzlich leicht müde machenden Wirkung. Diesen sogenannten sedierenden Effekt erreicht man auch mit schwach wirksamen Neuroleptika wie Promethazin oder Melperon, mit trizyklischen Antidepressiva wie Amitriptylin, Doxepin oder Trimipramin. Im Ausnahmefall kann auch ein Beruhigungsmittel wie Diazepam erwogen werden, diese sollten jedoch wegen der möglichen Gewöhnungsproblematik sehr zurückhaltend eingesetzt werden. Die Substanzen sind durchweg rezeptpflichtig. Ziel ist letztlich über einen schmerzdistanzierenden Effekt dem Betroffenen zu ermöglichen, den Schmerz bewusstseinsfern zu halten, ohne ein Schmerzmittel oder ein Triptan nehmen zu müssen. Müdigkeit und Bettlägerigkeit muss dabei in Kauf genommen werden. Arbeitsfähigkeit wird verständlicherweise in dieser Phase nicht erreicht. Die alternative Einnahme von Triptanen oder Schmerzmittel in dieser Situation mit dem Ziel, funktionieren zu wollen, führt schnell in den Medikamentenübergebrauch und ist keine nachhaltige Lösung.

Ein weiterer Therapieansatz ist, die dem Migräneschmerz zugrundeliegende Entzündung an den Blutgefäßen der Hirnhäute durch Gabe von Prednisolon oder anderen Kortison-Zubereitungen zu blockieren und damit dem Schmerz die biologische Grundlage zu nehmen. In der Notfallsituation wird das Kortison meist intravenös verabreicht, was den Vorteil eines relativ schnellen Wirkeintritts unter Umgehung der Aufnahme im Magen-Darmbereich bietet. Bei vielen Betroffenen führt aber auch die selbständige Einnahme von Prednisolon 50 bis 100 mg als Tablette zu einer Besserung innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne. Gegebenenfalls kann die morgendliche Einnahme für zwei oder drei Tage wiederholt werden, bis die Entzündung ganz abklingt. Prednisolon ist ebenfalls rezeptpflichtig.

Notwendig ist jedoch immer eine individuelle Beratung und Untersuchung. Der jeweilige verlauf und das Anfallsmuster müssen analysiert werden. Vorbeugende Maßnahmen müssen optimiert werden. Diese schließen Verhalten und ggf. auch Medikamente ein. Letztere können meist nur zielgerecht und verträglich wirken, wenn sie sachgerecht eingesetzt werden. Auch hier gilt: Wissen ist die beste Medizin.

Dr. Katja Heinze-Kuhn, Dr. Axel Heinze, Prof. Dr. Hartmut Göbel
Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel