Der Begriff „chronisch“ (von griechisch χρόνος chrónos ‚die Zeit‘) charakterisiert in der Regel sich langsam entwickelnde, lang andauernde Erkrankungen.

  • In der allgemeinen schmerztherapeutischen Fachsprache bedeutet „chronisch“ das Bestehen von Schmerzen über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten.
  • Im Zusammenhang mit Kopfschmerzen wird diese Zeitspanne für die sekundären Kopfschmerzerkrankungen beibehalten.
  • Bei den primären Kopfschmerzerkrankungen, die meist über lange Zeit episodisch in wiederkehrenden Anfällen auftreten, wird der Begriff chronisch immer dann verwandt, wenn Attacken an mehr als der Hälfte der Tage über mindestens drei Monate auftreten.
  • Eine Ausnahme sind die trigemino-autonomen Kopfschmerzerkrankungen. Hier wird erst von chronischen Verläufen gesprochen, wenn die Erkrankung über mehr als ein Jahr nicht unterbrochen ist.

Treten Erlebnisinhalte im Zeitablauf immer wieder auf, kann dies zu dauerhaften Verhaltensänderungen führen. Allgemein spricht man vom Lernen. Lerninhalte werden im Gedächtnis gespeichert. Lernvorgänge können sehr unterschiedlich mit zahlreichen Mechanismen ablaufen.

Die Habituation (Gewöhnung) ermöglicht uns, einen immer wieder kehrenden Reiz auszublenden, der keine aktuelle nützliche Information enthält. Ein Beispiel ist das Ticken der Pendeluhr oder das Vorbeifahren von Autos. Reizüberflutung wird vermieden, die Aufmerksamkeit kann für andere wichtige Reize eingesetzt werden.

Eine ähnliche Aufgabe hat die Adaption (Anpassung). Das Auge etwa passt sich an den Übergang von Dunkelheit zu Helligkeit an, ein mittlerer Bereich der Helligkeit wird dadurch aufrechterhalten.

Zahlreiche weitere komplexe Lernmechanismen verändern unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Die Vorgänge laufen andauernd und vom Willen weitgehend unbeeinflusst ab. Wiederholt auftretende Sinneseindrücke führen im Gehirn durch Wiederholen zu bleibenden elektrischen und biochemischen Spuren. Sie werden als Muster gespeichert und können immer wieder wirken. Beim Lernen sind sämtliche Körperfunktionen beteiligt. Ein voller Bauch lernt bekanntlich nicht gerne, Unlust oder Stress erschweren die Gedächtnisbildung. Positive Emotionen, Interesse und Spaß können die Gedächtnisbildung dagegen stark verbessern.

Chronischer Schmerz wäre kaum ein Problem, wenn er der Habituation und Adaption unterliegen würde. Leider laufen die Vorgänge anders ab. Ständig andauernder oder in Episoden immer wiederkehrender Schmerz führt zu starken dauerhaften Verhaltensänderungen und Gedächtnisinhalten. Solche Gedächtnisinhalte werden an zahlreichen unterschiedlichen Stellen des Gehirns sehr nachhaltig gespeichert. Das ist wesentlicher Grund, warum Schmerz gezielt in der Erziehung und Bestrafung eingesetzt wird.

Das Paradoxe an Schmerzen ist, dass man sich nicht an sie gewöhnen kann. Im Gegenteil: Anhaltender Schmerz bewirkt immer mehr und länger andauernden Schmerz.

Anstatt Gewöhnung entsteht eine massive Steigerung der Empfindlichkeit, anstatt Habituation wird Sensitivierung bedingt. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses. Der Schmerz unterhält sich selbst.

Schmerzen auszuhalten ist daher keine Tugend. Wichtigste Maßnahme, um chronischem Schmerz die Grundlage zu nehmen, ist daher eine wirksame Schmerztherapie. Der Schmerz ist unter diesen Bedingungen als eigenständige Erkrankung entstanden. Die alleinige Suche nach der ursprünglichen Ursache bleibt erfolglos und ist unrealistisch. Die Behandlung muss sich deshalb auch auf die Bedingungen der Schmerzkrankheit beziehen. Die oft vielfältigen Faktoren, die diese unterhalten, müssen aufgedeckt und fachübergreifend gezielt behandelt werden. Der Schmerz wird dabei nicht einfach betäubt oder überdeckt, es sollen ihm die Grundlagen entzogen werden. Dabei sind sowohl körperliche, psychische als auch soziale Kontextfaktoren einzubeziehen.

Positiv können diese Vorgänge auch für die Therapie eingesetzt werden. Die Biofeedback-Therapie z.B. macht die Vorgänge bewusst sichtbar und wahrnehmbar. Sie können so aktiv verändert werden. Schmerzbewältigungsprogramme modulieren die Bewertung und Bedeutung von Schmerzen. Entspannungstrainings können die Verbindung zwischen Schmerz, Stress und Anspannung aufheben. Betroffene müssen daher nicht passiv warten, dass sie behandelt werden. Sie haben eine aktive und selbstbestimmende Rolle. Wird diese nicht umgesetzt, sind die Chancen, chronischen Schmerz zu ändern, sehr gering. Werden diese Möglichkeiten dagegen gezielt und tatkräftig aufgegriffen, werden die Chancen, chronische Schmerzen effektiv zu bewältigen, vervielfacht.