Unter den 363 Kopfschmerz-Hauptdiagnosen, die heute klassifiziert werden, befinden sich neben den Volkskrankheiten Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp eine Reihe von sehr seltenen Kopfschmerzerkrankungen. Dazu zählen insbesondere der episodische und der chronische Clusterkopfschmerz (CK), die episodische und chronische paroxysmale Hemikranie (CPH), das SUNCT-Syndrom (short-lasting unilateral neuralgiform headache with conjunctival injection and tearing – siehe nebenstehendes Video, Beschreibung unten) und andere Kopfschmerzformen. Die Einjahres-Prävalenz einzelner Formen dieser sog. trigemino-autonomen Cephalgien (TACs) liegt deutlich unter 0,01 %. Die Erkrankungen sind durch extrem schwere einseitige Kopfschmerzanfälle in Verbindung mit ipsilateralen autonomen Symptomen klinisch charakterisiert. Gemeinsam ist diesen Kopfschmerzen eine vernichtende Schwere der Schmerzen, die bei ineffektiver Diagnose und Therapie sehr häufig zum Suizid führt. Die korrekte und schnelle Diagnose der TACs ist essentiell, da ihre Behandlung sich grundlegend von der Therapie anderer Kopfschmerzformen unterscheidet.

Zielführende adäquate Diagnosen werden jedoch oft sehr spät oder gar nicht gestellt, effektive Therapien bleiben daher aus oder werden erst nach vielen qualvollen Jahren einer Schmerz-Odyssee, Doktor-Hopping, Doktor-Shopping, Anwendung unkonventioneller Methoden und schwerwiegenden Komplikationen eingeleitet. Zusätzlich größtenteils unerforscht, nicht diagnostiziert sowie fehl- oder unbehandelt zählen TACs zu den bösartigsten und gleichzeitig am stärksten behindernden Schmerzerkrankungen des Menschen. Soziale Isolation, Persönlichkeitsänderung, Angst, Depression, Mutlosigkeit, Wut, Trauer, Verzweiflung und Aufgabe des Lebenswillens heißen die vielfältigen Begleiter. Angehörigen leiden meist verängstigt und verzweifelt mit. Dabei können TACs heute in der Regel mit spezialisiertem Wissen schnell und präzise diagnostiziert werden. Es gibt sehr wirksame Behandlungsmöglichkeiten, die bei Kenntnis und adäquater Anwendung meist wirksame und schnelle Hilfe ermöglichen

Durch das Projekt soll Patienten eine Behandlungsodyssee, Diagnoseverzögerungen und ineffektive Therapien erspart bleiben. Gerade schwere und seltene Kopfschmerzerkrankungen wie die TACs äußern sich mit komplexer Phänomenologie, haben multikausale Entstehungsmechanismen und präsentieren sich mit vielfältigen körperlichen und psychischen Auswirkungen. Sie können daher in der Regel nicht flächendeckend spezialisiert und auf aktuellem Stand behandelt werden. Ohne Kenntnis zeitgemäßer diagnostischer Kriterien, Bündelung von Erfahrungen durch Spezialisierung und Umsetzung aktueller wissenschaftlich gesicherter Behandlungspfade entstehen Fehldiagnosen und unwirksame Behandlungsverläufe.

Im Mittel dauert es acht bis zwölf Jahre, bis die Betroffenen eine adäquate Diagnose und eine spezifische Behandlung erhalten. Seltene Kopfschmerzerkrankungen sind ein Bereich der Medizin, der sich randomisierten kontrollierten Studien aufgrund der Seltenheit der Erkrankungen nur sehr schwer zugänglich macht. Evidenzbasierende Leitlinien, Aus-, Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen für Ärzte sowie Forschungsanstrengungen der Industrie fehlten bisher.

Ziel des Diagnose-, Behandlungs- und Forschungsnetzes ist es daher, Patientinnen und Patienten mit seltenen Kopfschmerzerkrankungen abgestimmt, koordiniert und fachübergreifend und auf aktuellem internationalem wissenschaftlichem Niveau zu behandeln. Das Projekt ist ein spezielles Aufgabenfeld im Rahmen des bundesweiten Kopfschmerzbehandlungsnetzes, ein koordiniertes Versorgungsnetz für die spezialisierte Behandlung von Kopfschmerzen in Kooperation zwischen der Schmerzklinik Kiel, der Techniker Krankenkasse, kooperierender Krankenkassen und Selbsthilfeverbänden. Durch Forschungsprojekte sollen auch neue Therapieoptionen und effektivere Behandlungspfade entwickelt und bewertet werden. Öffentlichkeitsarbeit soll Betroffene und deren Angehörige zeitgemäß informieren.

In Zusammenarbeit mit der Schmerzklinik Kiel, dem Bundesverband der Clusterkopfschmerz-Selbsthilfegruppen (CSG e.V.) und der Techniker Krankenkasse wurde zur Überwindung der Versorgungsdefizite die Idee von Kompetenzzentren für Clusterkopfschmerzen (CCC) entwickelt und 2007 erstmals umgesetzt. In Kooperation mit der Techniker Krankenkasse wurde zudem ein bundesweites integriertes Versorgungsnetz für die Behandlung von Kopfschmerzerkrankungen entwickelt, in das die Kompetenzzentren integriert wurden. Das Ziel war, bundesweit abgestimmte und fachübergreifende Behandlungspfade für eine effektive, koordinierte, rasche und barrierefreie Diagnostik und Therapie zu ermöglichen. Dieses Versorgungsnetzwerk soll einerseits vor Ort den Zugang zu spezialisierten Praxen ermöglichen. Über das Internet können bundesweit entsprechende schmerztherapeutische Regionalzentren ausfindig gemacht werden. Gleichzeitig wurden die Versorgungswege koordiniert und durch Behandlungspfade hinsichtlich ihrer Effizienz optimiert.


Das Video zeigt ein SUNCT-Syndrom. Die Abkürzung SUNCT-Syndrom steht für »shortlasting unilateral neuralgiform headache attacks with conjunctival injection, tearing, sweating and rhinorrhoea«.

  • Mit diesem Syndrom ist ein sehr ähnliches Krankheitsbild wie das der paroxysmalen Hemikranie bei einzelnen Patienten beschrieben worden.
  • Die Schmerzen sind jedoch im Gegensatz zur paroxysmalen Hemikranie durch sehr kurze Episoden gekennzeichnet, die zwischen 15 und 60 Sekunden andauern und mit einer großen Attackenfrequenz von 5 bis 30 Attacken pro Stunde auftreten können.
  • Die Schmerzen sind um ein Auge herum lokalisiert und mit den typischen Begleitstörungen der paroxysmalen Hemikranie assoziiert.
  • Die Attacken könne durch Kaumanöver ausgelöst werden, sprechen jedoch nicht auf Indometacin oder Carbamazepin an.
  • Das SUNCT-Syndrom muss sorgfältig von der Trigeminusneuralgie differentialdiagnostisch abgegrenzt werden.
  • Die Prävalenz ist unbekannt. Sie ist wahrscheinlich seltener als die paroxysmale Hemikranie. Das Verhältnis Männer:Frauen entspricht ca. 1,5:1.
  • Das SUNCT-Syndrom ist gekennzeichnet durch kurz anhaltende einseitige Schmerzattacken, die deutlich kürzer als bei anderen trigemino-autonomen Kopfschmerzerkrankungen sind. In der Regel tritt auf der Schmerzseite eine deutliches Lakrimation (Augentränen) und konjunktivale Injektion (Augenrötung) auf.