Generationen von Schülern haben sich mit dem Problem geplagt, dass ein Wort in verschiedenen Sprachen ein unterschiedliches Geschlecht haben kann. Dabei erscheint die Zuordnung zum weiblichen, männlichen oder sachlichen Genus häufig eher willkürlich. Ein typisches Beispiel ist der Schmerz. Vom lateinischen dolor (m.) leitet sich das italienische dolore genauso ab wie das französische douleur – nur ist ersteres maskulin und letzteres feminin! Selbst bei geographisch so benachbarten Sprachen wie Spanisch und Portugiesisch findet sich keine Übereinstimmung: Das spanische dolor ist maskulin, das portugiesische dor wieder feminin. Schon in der Antike war man sich uneins. Anders als das dolor im Lateinischen war ἄλγος (algos) im Altgriechischen neutral! Wenn der Schmerz in den verschiedenen Sprachen mal dem weiblichen, mal dem männlichen und mal keinem Geschlecht zugeordnet wird, spiegelt das möglicherweise einfach die Erfahrung wider, dass beide Geschlechter gleichermaßen Schmerzen verspüren können. Umso erstaunlicher ist, wie uniform die Migräne, hemicrania, emicrania, migraine, migraña, enxaqueca oder jaqueca in den unterschiedlichen Sprachen weiblichen Geschlechts ist. Im Urteil der Völker handelt es sich bei der Migräne augenscheinlich überwiegend um eine Erkrankung von Frauen.

Der Frage, ob dies tatsächlich der Fall ist, kann man sich epidemiologisch nähern. Repräsentativ ausgewählte Bevölkerungsstichproben zeigen tatsächlich ein Überwiegen des weiblichen Geschlechts um den Faktor 2-3 über das ganze Leben gesehen (1). Vor dem 12. Lebensjahr unterscheiden sich beide Geschlechter noch wenig. Bei den jüngeren Kindern sind Jungen sogar tendenziell etwas häufiger betroffen. Das ändert sich mit dem Eintritt in die Pubertät. Der abrupte Abfall des Östrogenspiegels vor der Menstruation ist bei vielen Frauen ein potenter Trigger von Migräneattacken (2). Dabei spielt es keine wesentliche Rolle, ob es sich um die natürlichen Hormonschwankungen handelt oder um den Östrogenentzug in der „Pillenpause“ bei Einnahme von östrogenhaltigen Kontrazeptiva (3). Nicht selten ist der Hormonabfall bei Frauen der einzige Trigger. Diese frauenspezifische menstruelle Migräne dürfte der wesentliche Grund dafür sein, dass die Migräne bei Frauen häufiger als bei Männern auftritt, aber auch, dass die Migräne als weibliche Erkrankung wahrgenommen wird.  

Zwischen den Geschlechtern gibt es bei der Migräne aber nicht nur einen Unterschied in der Auftretenshäufigkeit, sondern auch bei der Ausprägung der Erkrankung. Dies wird deutlich bei der Auswertung von Krankenkassendaten hinsichtlich der Inanspruchnahme des Gesundheitswesen. Ein solches Vorgehen erlaubt eine Aussage darüber, wie viele Menschen unter ihrer Migräne in einem Ausmaß leiden, dass sie auch Kosten verursachen. Daten für Deutschland liefert der Arztreport 2017 der BARMER mit einem Schwerpunktteil Kopfschmerzen (4). Demnach wurden im Jahr 2015 insgesamt 2,1% der Männer ärztlich aufgrund einer Migräne behandelt, während es bei den Frauen 6,8%, also 3,2mal so viele waren. Bei den 24-jährigen und den 50-jährigen war sogar jede 10. Frau betroffen. 4,3mal mehr Frauen als Männern wurden Triptane verordnet – spezifische Migränetherapeutika, die erst zum Einsatz kommen, wenn Schmerzmittel nicht mehr ausreichend wirken. Frauen bedürfen also im Geschlechtervergleich einer häufigeren und intensiveren medizinischen Behandlung als von der reinen Prävalenz zu erwarten gewesen wäre. Die Migräne verläuft bei Frauen offensichtlich heftiger. Hierfür spricht auch, dass der Frauenanteil in klinischen Studien zur Migräne mit 80 bis 85% durchweg überproportional ist (5, 6). Es besteht ein hoher Leidensdruck und offensichtlich ein unbefriedigter Bedarf nach neuen Therapieoptionen. (Katja Heinze-Kuhn, Axel Heinze und Hartmut Göbel).

Literatur:

  1. Merikangas KR. Contributions of epidemiology to our understanding of migraine. Headache. 2013;53(2):230-46.
  2. Marmura MJ. Triggers, Protectors, and Predictors in Episodic Migraine. Curr Pain Headache Rep. 2018;22(12):81.
  3. Silberstein SD. Sex hormones and headache. Rev Neurol (Paris). 2000;156 Suppl 4:4S30-41.
  4. Grobe T, Steinmann S, Szecsenyi J. BARMER Arztreport. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse,  Band 1: BARMER Hauptverwaltung, Asgard Verlagsservice GmbH; 2017.
  5. Reuter U, Goadsby PJ, Lanteri-Minet M, Wen S, Hours-Zesiger P, Ferrari MD, et al. Efficacy and tolerability of erenumab in patients with episodic migraine in whom two-to-four previous preventive treatments were unsuccessful: a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3b study. Lancet. 2018;392(10161):2280-7.
  6. Skljarevski V, Matharu M, Millen BA, Ossipov MH, Kim BK, Yang JY. Efficacy and safety of galcanezumab for the prevention of episodic migraine: Results of the EVOLVE-2 Phase 3 randomized controlled clinical trial. Cephalalgia. 2018;38(8):1442-54.