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Schmerz-Namenlos, Suicid-Kopfschmerz
Clusterkopfschmerzen zählen zu den schwersten Kopfschmerzerkrankungen und sind durch schwere, einseitig im Bereich der Augen, der Stirn oder der Schläfe auftretende Schmerzattacken von 15-180 Minuten Dauer gekennzeichnet. Die Attacken treten mit einer Häufigkeit von einer Attacke jeden zweiten Tag bis zu acht Attacken pro Tag auf. Die Schmerzen werden durch mindestens eines der folgenden Symptome begleitet, die auf der gleichen Seite auftreten: Augenrötung, Augentränen, Verstopfung der Nase, Nasenlaufen, vermehrtes Schwitzen im Bereich von Stirn und Gesicht, Verengung der Pupille, Hängen des Augenlides, Schwellung der Augenlider und körperliche Unruhe mit Bewegungsdrang. Die Attacken treten periodisch gehäuft auf; man spricht von einem Cluster (cluster: englisch Haufen). Zwischengeschaltet sind kopfschmerzfreie Zeiten unterschiedlicher Dauer.
Im Durchschnitt dauert es nach einer Erhebung der Clusterkopfschmerz-Selbsthilfegruppen (CSG e.V.) in Deutschland mehr als acht Jahre, bis die zutreffende Diagnose gestellt wird. Zielführende adäquate Diagnosen werden oft sehr spät oder gar nicht gestellt, effektive Therapien bleiben daher aus oder werden erst nach vielen qualvollen Jahren einer Schmerz-Odyssee, Doktor-Hopping, Doktor-Shopping, Anwendung unkonventioneller Methoden und schwerwiegenden Komplikationen eingeleitet. Zusätzlich undiagnostiziert sowie fehl- oder unbehandelt ist Clusterkopfschmerz eine der bösartigsten und gleichzeitig am stärksten behindernden Schmerzerkrankungen des Menschen. Soziale Isolation, Persönlichkeitsänderung, Angst, Depression, Mutlosigkeit, Wut, Trauer, Verzweiflung und Aufgabe des Lebenswillens heißen seine vielfältigen Begleiter. Angehörigen leiden meist verängstigt und verzweifelt mit. Dabei kann Clusterkopfschmerz heute in der Regel mit spezialisiertem Wissen schnell und präzise diagnostiziert werden. Es gibt sehr wirksame Behandlungsmöglichkeiten, die bei Kenntnis und adäquater Anwendung meist wirksame und schnelle Hilfe ermöglichen.
In der medizinischen Aus- und Weiterbildung findet sich der Clusterkopfschmerz kaum. Das Schwerbehindertenrecht kennt den Namen der schweren Schmerzerkrankung nicht. Die Betroffenen gelten immer noch als Stiefkinder der Medizin. Auch die deutsche Muttersprache kennt kein Wort für diese Schmerzen. Clusterkopfschmerz ist der Schmerz-Namenlos. Folge ist ein Schmerz-Analphabetismus. Suizid-Kopfschmerz wird er oft genannt: Der erloschene Lebenswille ohne Hoffnung beschreibt die tragische individuelle Folge einer zu späten Diagnose und einer unwirksamen Behandlung.
Ein wesentlicher Indikator für ein leistungsfähiges und modernes Gesundheitssystem ist, dass Leiden und Schmerzen schnell gelindert werden und Patienten eine Ärzteodyssee, Diagnoseverzögerungen und ineffektive Therapien erspart bleiben. Gerade schwere und seltene Erkrankungen äußern sich mit komplexer Phänomenologie, haben multikausale Entstehungsmechanismen und präsentieren sich mit vielfältigen körperlichen und psychischen Auswirkungen. Sie können daher in der Regel nicht flächendeckend an jedem Ort spezialisiert auf neuestem Stand behandelt werden. Ohne Kenntnis zeitgemäßer diagnostischer Kriterien, Bündelung von Erfahrungen durch Spezialisierung und Umsetzung aktueller wissenschaftlich gesicherter Behandlungspfade entstehen leicht Fehldiagnosen und unwirksame Behandlungsverläufe.
Um das aktuelle Wissen hochspezialisiert für die Versorgung verfügbar zu machen, ist die Konzentration von Erfahrung und Wissen in spezialisierten Kompetenzzentren essentiell. Spezialisierte Kompetenzzentren können auch seltene Kopfschmerzschmerzerkrankungen fachübergreifend auf aktuellem wissenschaftlichem Niveau versorgen und gezielt neue Therapieoptionen entwickeln und evaluieren.
Auch wenn Clusterkopfschmerzen und andere trigeminoautonome Kopfschmerzformen im Vergleich zu den Volkskrankheiten Migräne- und Spannungskopfschmerz seltene Kopfschmerzerkrankungen sind, leiden jedoch in der Summe bundesweit sehr viele Menschen an dieser schweren Schmerzerkrankung. Allein in Deutschland können rund 240.000 Menschen geschätzt werden, die an Clusterkopfschmerzen über lange Phasen, oft viele Jahrzehnte, des Lebens erkrankt sind.
Weitere Informationen zur Clusterkopfschmerz-Diagnostik, Entstehung und Therapie finden Sie im Patientenratgeber „Erfolgreich gegen Kopfschmerzen und Migräne“, sowie ausführlicher in „Die Kopfschmerzen“, beide Springer Verlag.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in der Bewältigung Ihrer Kopfschmerzen!
Ihr
Prof. Dr. med. Hartmut Göbel