von Dr. Axel Heinze, Dr. Katja Heinze-Kuhn und Prof. Dr. Hartmut Göbel

Patienten, die ab dem 1. September 2010 wie gewohnt ihre Triptanrezepte bei einer Apotheke einlösen wollten, erlebten zum Teil eine unangenehme Überraschung. So wurde für Packungen mit 6 Tabletten in den Apotheken bei einigen Triptanen eine Zuzahlung von bis zu € 33,- verlangt. Selbst eigentlich von der Zuzahlung befreite Patienten mussten noch einen Differenzbetrag von bis zu € 28,- aufzahlen.

Hintergrund dieses erheblichen und unangekündigten Anstieges der Aufzahlung ist die neue Festbetragsregelung für die Triptane:

  • Der Festbetrag bezeichnet die Höchstgrenze, bis zu der die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für bestimmte Arzneimittel oder Hilfsmittel übernehmen.
  • Liegt der Preis eines Arzneimittels über dem Festbetrag, muss der Patient die Differenz aus eigener Tasche bezahlen, sofern er speziell dieses Arzneimittel wünscht.
  • Hinzu kommen noch die gewohnten 10 % Zuzahlung für das Medikament, wobei sich die 10 % zumindest nur auf den niedrigeren Festbetrag und nicht den tatsächlichen Preis beziehen.
  • Nur von dieser 10%igen Zuzahlung kann man sich auf Antrag befreien lassen.

Der Sinn der Festbetragsregelungen ist eine Kostenersparnis im Gesundheitswesen. Dabei sollen die eingesparten Kosten keineswegs dem Patienten aufgebürdet werden. Der Patient soll vielmehr von teuren Medikamenten hin zu preiswerteren Arzneimitteln geführt werden. Gleichzeitig sollen die Hersteller zu Preissenkungen veranlasst werden.

Festbetragsregelungen können immer nur dann eingeführt werden, wenn es in einer Arzneimittelgruppe mindestens drei Arzneimittel gibt, von denen keines eine therapeutische Verbesserung darstellt oder z.B. verringerte Nebenwirkungen aufweist. Der Festbetrag orientiert sich dann immer am preiswertesten Vertreter einer Arzneimittelgruppe.

Der erste Vertreter der Substanzklasse der Triptane war das Sumatriptan. In den Folgejahren wurden sechs weitere Triptane zugelassen (Zolmitriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Almotriptan, Eletriptan und Frovatriptan). 2006 endete der Patentschutz von Sumatriptan, das fortan von zahlreichen Herstellern als Generikum („Nachahmerpräparat“) angeboten wurde. Die hierdurch ausgelöste Preisreduktion des Sumatriptans führte zu einem deutlichen Preisgefälle zwischen Sumatriptan auf der einen und den übrigen Triptanen auf der anderen Seite. Dieses Preisgefälle innerhalb einer Substanzklasse ist Grundbedingung, dass eine Festbetragsregelung überhaupt finanziell für die Gesetzlichen Krankenkassen sinnvoll wäre.

Der nächste Schritt war dann die Feststellung, dass alle anderen Triptane gegenüber dem Sumatriptan keinen therapeutischen Vorteil aufweisen. Das Gesundheitssystem spricht hier von „me too“-Präparaten (me too

[engl.]= ich auch, oder frei übersetzt: „ich habe auch die gleiche Substanz“).

An dieser Feststellung waren u.a. der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beteiligt. Damit waren die Bedingungen erfüllt, dass die Spitzenverbände der Krankenkassen einen Festbetrag für alle Triptane in Tabletten- oder Schmelztablettenform einführen konnten, der ab dem 1.September 2010 gültig ist. Der Festbetrag orientiert sich dabei an den preiswerten Sumatriptan-Generika.

Aus wissenschaftlicher Sicht weisen die einzelnen Triptane einen ähnlichen Wirkungsmechanismus auf. Sie unterscheiden sich jedoch in der klinischen Anwendung zum Teil deutlich hinsichtlich Wirkstärke, Wirkgeschwindigkeit, Wirkdauer und/oder Verträglichkeit. Gerade letzteres wird u.a. dadurch dokumentiert, dass in Deutschland bislang erst ein Triptan rezeptfrei erhältlich ist (Naratriptan). Eine aktuelle Literaturübersicht zur Vergleichbarkeit der einzelnen Wirkstoffe der Arzneimittelklasse der Triptane findet sich im ausführlichen Review. Dabei wird deutlich: Zwischen den einzelnen Wirkstoffe finden sich signifikante Unterschiede in der klinischen Anwendung. Außerdem: Bei einem erheblichen Teil der Wirkstoffe erfolgte gar kein direkter wissenschaftlicher Vergleich zwischen den Anwendungsformen, die Existenz einer Grundlage für die Bildung einer Festbetragsgruppeist ist daher fraglich.

Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Patienten, die heute andere Triptane einsetzen, mit Sumatriptan zumindest Erfahrungen gesammelt haben. Auf Grund von Arzneimittelbudgetierungen lag es bereits seit langem im Interesse der verordnenden Ärzte, in erster Linie das preiswerte Sumatriptan einzusetzen, für Patienten war die fehlende Zuzahlung attraktiv. Wer als Patient dennoch andere Triptane einnahm, tat dies aufgrund ärztlicher Verordnung, aufgrund höherer Wirksamkeit oder besserer Verträglichkeit. Für diesen individuellen Patienten war und ist „sein“ Triptan daher kein „me too“-Präparat.

Seitens der Triptanhersteller reagierte bislang nur der Hersteller des Maxalt auf die veränderte Festbetragsregelung. Der Preis für die Maxalt-Tablette wurde auf den aktuellen Festbetrag gesenkt, so dass hier keine zusätzlichen Kosten über die 10%ige Zuzahlung hinaus entstehen. Auch der Preis der Maxalt lingua-Schmerztablette wurde reduziert, liegt aber weiter oberhalb des Festbetrages.

In den Anfangswochen der neuen Festbetragsregelung konnten Patienten mit engagierten Apothekern bei allen anderen Triptanen auf preiswerte Re-Importe ausweichen. Insbesondere die beiden Firmen EMRA-MED und EURIM Pharm boten Triptane als Importware aus anderen europäischen Ländern zu Preisen an, die um mehr als die Hälfte unter denen der entsprechenden deutschen Präparate (und auch anderer Re-Importeure) lagen. Bei den Re-Importen handelt es sich um identische Produkte, die sich aber zum Teil im Namen unterscheiden (AscoTop = Zomig; Allegro = Tigreat). In diesen Wochen im September und zum Teil auch noch bis Anfang Oktober waren damit faktisch alle Triptane ohne Aufschläge erhältlich und die 10%ige Zuzahlung war entsprechend deutlich reduziert (um bis zu 5€ pro Packung). Bedauerlicherweise waren diese Re-Importe jedoch spätestens ab Oktober im Pharmagroßhandel weitestgehend vergriffen und es ist unklar, wann und zu welchem Preis diese Re-Importe wieder zur Verfügung stehen.

Was können individuell betroffene Patienten konkret erwägen?

Die Situation ist im Fluss und stetige Veränderungen sind zu erwarten sind. Genau das ist gesetzlich angestrebt. Durch die Festbeträge sollen Wirtschaftlichkeitsreserven ausgeschöpft und ein wirksamer Preiswettbewerb ausgelöst werden. Der eigentliche Kritikpunkt ist, ob Triptane tatsächlich in eine Festbetragsgruppe zusammengefasst werden können, d.h., ob es sich um pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkstoffe handelt. Das kann theoretisch so gesehen werden. In der praktischen Anwendung zeigt sich jedoch, dass sich die individuelle Wirksamkeit und Verträglichkeit von Triptan zu Triptan ausgeprägt unterscheiden kann und klinische Vergleichbarkeit nicht besteht. Patienten können folgende Schritte in Betracht ziehen (Stand 15.11.2010):

  1. Nochmals einen neuen Anlauf unternehmen und die beiden günstigen Triptane Sumatriptan und Rizatriptan (Maxalt-Tabletten) austesten. Das Rizatriptan weist dabei im Vergleich eine etwas stärkere und schnellere Wirkung auf. Die meisten Sumatriptan-Generika kosten noch nicht einmal die 10%ige Zuzahlung.
  2. Bei nicht ausreichender Wirkung richtige Dosierung beachten, ggf. die Dosis erhöhen (Sumatriptan 100 mg statt 50 mg, Rizatriptan 10 mg statt 5 mg).
  3. Möglichst frühe Einnahme im Migräneanfall anstreben.
  4. Durch eine solche Triptanrotation den bisherigen Anbieter zum Preiswettbewerb ermuntern.
  5. Wenn früher ein anderes Triptan nicht geholfen hat (oder schlechter verträglich war), kann dies zu einem späteren Zeitpunkt ohne weiteres möglich sein, daher nicht auf frühere Erfahrungen verlassen.
  6. Resorptionsverbesserung durch Zugabe eines Mittels gegen Übelkeit wie MCP oder Domperidon erzielen.
  7. Beim Zolmitriptan kann anstelle der Tablette und Schmelztablette auf das Nasenspray ausgewichen werden, das von der Festbetragsregelung nicht betroffen ist.
  8. Wirksamkeitsverbesserung und vor allem auch Reduktion von Wiederkehrkopfschmerzen durch Zugabe eines langwirksamen NSAR wie Naproxen 500 mg testen.
  9. Vorbeugung mit Medikamenten neu einstellen.
  10. Vorbeugung durch Verhalten intensiv beachten.
  11. Spätestens nach all diesen Maßnahmen darauf bauen, dass auch der letzte Hersteller sich den Festbeträgen angenähert hat.

Die genaue Preispolitik und die Entwicklung der Festbeträge kann man hier nachlesen. Die neuen Festbeträge werden in Kürze aktualisiert werden. Den gesetzlichen Hintergrund findet man hier. Es ist zu hoffen, dass zukünftig Patientinnen und Patienten nicht von neuen Anpassungen der Regelungen ohne Vorinformation überrascht und betroffen werden.

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