Eine Änderung für die Anwendung des monoklonalen Antikörpers Erenumab (Aimovig®) in der Vorbeugung von Migräneattacken hat sich durch die Vergleichsstudie mit Topiramat ergeben (1). Wie bei den anderen monoklonalen Antikörpern wurde initial auch für Erenumab nur ein Zusatznutzen für die Patienten festgestellt, bei denen die bisherigen zugelassenen Arzneimittel als Best Supportive Care nicht wirksam, verträglich oder kontraindiziert waren. Die neue Bewertung stützt sich auf die Ergebnisse der Hermes-Studie (1), die die Migräneprophylaxe mit Erenumab mit der von Topiramat bei Patienten mit episodischer und chronischer Migräne verglichen hatte. Primärer Studienendpunkt waren Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen. Als sekundärer Endpunkt diente der Anteil der Patienten mit einer Reduktion der monatlichen Migränetage um mindestens 50%. Für beide Zielparameter zeigten sich vorteilhafte Ergebnisse für Erenumab im Vergleich zu Topiramat. Während 10,6% der mit Erenumab behandelten Patienten die Behandlung aufgrund von Nebenwirkungen abbrachen, waren dies 38,9% der Patienten, die mit Topiramat behandelt wurden. Eine mindestens 50%-ige Besserungsrate der mittleren Migränetage pro Monat zeigte sich bei 55,4% der mit Erenumab behandelten Patienten, in der Topiramat-Gruppe zeigte sich ein entsprechendes Behandlungsergebnis nur bei 31,2%. Auch hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zeigten sich signifikante Vorteile der Behandlung mit Erenumab im Vergleich zu Placebo.

Basierend auf diesen Ergebnissen wurde ein neues Nutzenbewertungsverfahren inkl. Preisverhandlungen für Erenumab initiiert. Dabei hat der G-BA für Migränepatienten mit mindestens vier Migränetagen pro Monat, die für eine konventionelle Migräneprophylaxe in Frage kommen, einen beträchtlichen Zusatznutzen von Erenumab gegenüber Topiramat festgestellt. Die sich anschließenden Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zur Erstattung von Erenumab hat zu neuen Kriterien für die Anerkennung der Verordnung als Praxisbesonderheit geführt. Danach sind die Verordnungen von Aimovig® (Wirkstoff: Erenumab) ab dem 01.04.2022 nach § 130b Abs. 2 SGB V von der Prüfungsstelle in der aufgeführten Patientengruppe mit einem Zusatznutzen laut G-BA-Beschluss vom 02.05.2019 sowie vom 21.10.2021 ab dem ersten Behandlungsfall als Praxisbesonderheiten anzuerkennen, wenn eine der folgenden Bedingungen besteht:

  • Erwachsene mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat, bei denen die Therapie mit mindestens einer Migräneprophylaxe (Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin oder Clostridium botulinum Toxin Typ A) erfolglos war oder diese nicht vertragen wurde.
  • Erwachsene mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat, die für keinen der genannten Wirkstoffe zur Migräneprophylaxe geeignet sind. Die Nichteignung ist zu dokumentieren.

Alle anderen Verordnungen sind ausdrücklich nicht von der Praxisbesonderheit umfasst. Die Vorgaben der Fachinformation sind zu berücksichtigen. Die Einleitung und Überwachung der Behandlung mit Erenumab sollen durch in der Diagnose und Therapie von Patienten mit Migräne erfahrene Ärzte erfolgen. Das Ansprechen des Patienten ist vom Arzt zu dokumentieren. Weitere Einzelheiten über entsprechende Dokumentationsmöglichkeiten in der Praxis sind im Abschnitt „Wirksamkeitsparameter im Versorgungsgeschehen“ beschrieben. Bei Patienten, die nach drei Monaten Behandlung noch kein Ansprechen gezeigt haben, ist die Folgeverordnung nicht mehr von der Praxisbesonderheit umfasst. Die Ärzte sind durch die Regelungen zu Praxisbesonderheit nicht von den einzuhaltenden Vorgaben aus § 12 SGB V und § 9 der Arzneimittelrichtlinie entbunden.

Wirksamkeitsparameter im Versorgungsgeschehen

Eine kontinuierliche Erfassung der Migränetage pro Monat sollte während der Anwendung von monoklonalen Antikörpern kontinuierlich erfolgen. Vorzugsweise kann dies mit digitalen Anwendungen wie der Migräne-App (2, 3) prospektiv vorgenommen werden. Dabei werden kontinuierlich die Daten aggregiert und analysiert, um eine zuverlässige Verlaufs- und Erfolgskontrolle zu ermöglichen. Die Operationalisierung der Wirksamkeit kann über eine 50%-ige Reduktion der Migränetage pro Monat erfolgen. In die Bewertungsanalyse sollte jedoch auch die Zahl der Einnahmetage für Akutmedikamente mit eingehen. Ebenfalls sollte die Behinderung durch die Migräne erfasst werden. Für den Praxisalltag geeignete Instrumente sind der MIDAS-Score, der HIT-6-Score oder der Grad der Behinderung durch Kopfschmerzen (GdBK-Score) in der Migräne-App. Letzterer erfasst im Unterschied zu MIDAS- und HIT-6-Score nicht retrospektiv aus der Erinnerung die funktionellen beruflichen, sozialen und familiären Einschränkungen, sondern ermittelt diese prospektiv im Behandlungsverlauf und wertet sie kontinuierlich aggregiert aus. Eine Reduktion der migränebedingten Behinderungsscores um 30% bzgl. MIDAS und GdBK-Score oder um mindestens 5 Punkte des HIT-6-Score kann als Parameter für die Effektivität angesehen werden. Besteht eine chronische Migräne, kann eine Reduktion der Migränetage pro Monat um mindestens 30% als Nachweis der Wirksamkeit bewertet werden.

Literatur

  1. Reuter U, Ehrlich M, Gendolla A, Heinze A, Klatt J, Wen S, et al. Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia. 2022;42(2):108-18.
  2. Göbel H, Frank B, Heinze A, Göbel C, Göbel A, Gendolla A, et al. Zeitgemäße ärztliche Verlaufs- und Erfolgskontrolle mit der Migräne-App. Schmerzmedizin. 2020;36(5):28-36.
  3. Göbel H, Frank B, Heinze A, Zimmermann W, Göbel C, Göbel A, et al. Gesundheitsverhalten von Migräne- und Kopfschmerzpatienten bei digitaler Therapiebegleitung mit der Migräne-App [Healthcare behavior of migraine and headache patients when treatment is accompanied by the digital migraine app]. Schmerz. 2019;33(2):147-55.