Zusammenfassendes Modell zur Pathophysiologie des Clusterkopfschmerzes

Die Durchführung von orbitalen Phlebogrammen bei Clusterkopfschmerzpatienten ergibt Hinweise auf entzündliche Prozesse im Sinus cavernosus und im Bereich der V. ophthalmica superior. Die Genese dieser entzündlichen Prozesse ist bis heute nicht geklärt. Durch die Entzündung der venösen Gefäßabschnitte kann eine Behinderung des venösen Abflusses entstehen. Die entzündliche Veränderung der Wand des Sinus cavernosus kann die ipsilateralen sympathischen Fasern beeinträchtigen, die mit der A. carotis interna ziehen und die sympathische Versorgung des Augenlides, des Auges, des Gesichtes, der Orbita und der retroorbitalen Gefäße vornehmen. Die operative Durchschneidung des N. petrosus superficialis major oder des N. facialis kann ebenso wie eine trigeminale Rhizotomie die Clusterkopfschmerzattacken vollständig zum Sistieren bringen. Aufgrund dieser Beobachtungen kann darauf geschlossen werden, dass sowohl Fasern des N. trigeminus als auch des N. facialis in der Pathophysiologie des Clusterkopfschmerzes eine bedeutsame Rolle spielen. Auch die veränderte Pupillenreaktion auf Stimulation des N. infratrochlearis lässt auf eine Beteiligung sensorischer Trigeminusfasern schließen. Durch Ausbreitung der entzündlichen Reaktion und mögliche Diffusion der entzündlichen Neuropeptide im Bereich des Sinus cavernosus auf den in der Nachbarschaft des Sinus cavernosus ziehenden N. ophthalmicus kann die ipsilaterale Entstehung des Schmerzes erklärt werden. Aufgrund der engen räumlichen Beziehung der sympathischen und der sensorischen Fasern und der entzündlichen Veränderung im Bereich des Sinus cavernosus können sowohl die sensorischen als auch die autonomen Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Clusterkopfschmerzattacken verstanden werden.

Als weitere Besonderheit ist zu beachten, dass in dem interessierenden anatomischen Areal die A. carotis interna durch den Canalis carotis tritt und das Gefäß durch eine knöcherne Ummantelung mechanisch bei einer möglichen Vasodilatation eingeengt ist. Tritt nun ein entzündlicher Prozess vom Sinus cavernosus auf die A. carotis interna über, kann die Gefäßwand ödematös endzündlich anquellen und die Folge ist eine Kompression der sympathischen Fasern im Canalis carotis. Die sympathischen Fasern werden direkt mechanisch irritiert und die Aktivierung sensorischer nozizeptiver Fasern, sowie die Deaktivierung sympathischer Neurone kann die Symptomvielfalt der Clusterkopfschmerzattacke erklären. Ein ähnlicher Prozess könnte bei der Provokation von Clusterkopfschmerzattacken durch Nitroglyzerin, Histamin, Alkohol oder Hypoxie eine Rolle spielen.

Clusterkopfschmerzen treten in der Regel erst im mittleren und höheren Lebensalter auf. Grund dafür könnte sein, dass die Elastizität der Gefäße im mittleren Alter nachlässt und dann aufgrund der physikalischen Grundregel actio = reactio eine Kompression der sympathischen Fasern bedingt wird. Durch die größere Gefäßelastizität im jugendlichen Alter und bei Frauen wird eine mögliche Kompression der sympathischen Fasern ausgeglichen. Die bei Patienten mit Clusterkopfschmerz beschriebenen gröberen Gesichtsstrukturen können möglicherweise auch im Bereich der Schädelbasis vorhanden sein und die anatomische Ausbildung des Canalis carotis könnte bei Clusterkopfschmerzen durch eine besondere Enge charakterisiert sein. Möglicherweise sind diese einfachen anatomischen Besonderheiten Grund dafür, warum gerade Männer mit besonderen Schädelstrukturen Clusterkopfschmerzen entwickeln. Auch die strenge Unilateralität könnte durch eine unilateral bestehende besondere Anatomie des Canalis carotis erklärt werden.

Die Latenz zwischen der Gabe von vasodilatierenden Substanzen und dem Auftreten der Clusterattacke nach ca. 30 bis 40 Minuten könnte darauf basieren, dass die mechanische Irritation der Sympathikusfasern durch die Pulsationen der Gefäßwand erst nach Summation einer Vielzahl von Gefäßpulsationen ausreicht, um eine entsprechende Läsion zu bedingen.

Spontane Clusterattacken könnten im Rahmen dieser modellhaften Vorstellungen dann auftreten, wenn eine basale entzündliche Grundreaktion im Bereich des Sinus cavernosus anhält. Während dieser Zeit ist die Anfälligkeit für Clusterattacken gegeben. Klingt diese entzündliche Reaktion spontan ab oder wird eine Kortikosteroidtherapie durchgeführt, tritt die Remissionsphase ein. Im Falle einer permanenten entzündliche Reaktion im Bereich des Sinus cavernosus kann ein chronischer Clusterkopfschmerz ohne dazwischen liegende Remissionsphasen begründet werden.

Die schnelle Linderung der Clusterkopfschmerzattacke durch vasokonstriktive Substanzen wie zum Beispiel Sumatriptan könnte dadurch erklärt werden, dass es zu einer schnellen Vasokonstriktion der A. Carotis im Bereich des Canalis carotis kommt und dadurch die mechanische Irritation sensorischer Trigeminusfasern und darüber hinaus die mechanische Läsion der perivaskulären sympathischen Fasern schnell gestoppt werden. Gleiches gilt für die Applikation von Ergotalkaloiden und die Inhalation von Sauerstoff, die ebenfalls eine Vasokonstriktion bedingen. Der schmerzlindernde Effekt nach subkutaner Applikation von Sumatriptan tritt bereits nach fünf bis zehn Minuten ein. Dass dieser schnelle Effekt durch eine Inhibition eines entzündlichen Prozesses bedingt sein kann, muss sehr bezweifelt werden, da die Blockierung einer entzündlichen Reaktion innerhalb von Minuten sehr unwahrscheinlich ist. Die Beendigung einer einfachen mechanischen Irritierung der Gefäßwand im Bereich des Canalis carotis durch die schnelle Vasokonstriktion ist dagegen eher naheliegend und plausibel. Gleiches gilt für die Inhalation von reinem Sauerstoff, der mit ähnlicher Geschwindigkeit den Clusterkopfschmerz kupieren kann. Die prophylaktische Gabe von Kortikosteroiden kann bei Patienten mit Clusterkopfschmerzattacken ebenfalls eine sehr sichere und zuverlässige prophylaktische Therapie darstellen. Durch Hemmung der basalen entzündlichen Reaktionen im Bereich des Sinus cavernosus ist eine Erklärung für die Wirksamkeit gegeben. Die prophylaktische Gabe von Ergotalkaloiden verhindert die mechanische Irritation.

Das individuell tageszeitliche Gebunden-Sein von Clusterkopfschmerzattacken könnte mit tageszeitlich verändertem Druck im Sinus cavernosus erklärt werden. In der Nacht während des Schlafens kommt es in liegender Position zu einem Anstieg des venösen Druckes im Bereich des Schädels. Das ist allein schon hydrostatisch durch die reduzierte Flüssigkeitssäule im Liegen bedingt. Durch eine venöse Stauung kann eine vorliegende entzündliche Reaktion im Bereich des Sinus cavernosus verstärkt werden und dann die entzündliche Reaktion vom Sinus auf die sensorischen autonomen Fasern im Bereich des N. trigeminus bzw. der A. carotis interna übergehen.

Auch das zeitliche Verhalten der Clusterkopfschmerzattacke kann im Rahmen dieser Überlegungen erklärt werden. Durch eine mögliche mechanische Schädigung von sympathischen Fasern im Canalis carotis tritt eine gestörte sympathische Aktivität auf. Folge ist eine quasi pathophysiologisch bedingte mechanische Sympathikolyse. Bekanntermaßen tritt bei einer arteriovenösen Verschlusskrankheit der Extremitäten durch eine Sympathikolyse eine deutliche Verbesserung der Schmerzen und der Beschwerden ein. Durch die im Rahmen der pathophysiologischen Bedingungen im Bereich des Canalis carotis induzierten Sympathikolyse kann durch die Reduktion des Sympathikotonus eine Reduktion des erhöhten cranialen Venendruckes erzielt werden. Der pathophysiologische Prozess bedingt damit gleichzeitig einen symptomlimitierenden therapeutischen Mechanismus mit festem Zeitablauf, wie er bei Clusterkopfschmerzattacken typischerweise klinisch zu beobachten ist. Die Refraktärzeit nach einer Clusterattacke kann nun ebenfalls nach diesen Überlegungen erklärt werden, da die Sympathikusfasern anhaltend lädiert sind und ein erneutes übermäßiges Ansteigen des intrakraniellen Venentonus zunächst verhindert wird. Erst nach genügend langer Erholungszeit der sympathischen Aktivität kann das pathophysiologische Geschehen erneut wieder in Gang gesetzt werden.